Berlin. Eine Studie zeigt: Zukünftig wollen Menschen anders ankommen – aber nicht um jeden Preis. Mehr Busspuren ja, höhere Parkgebühren nein.

Dieselkrise, Klimadebatte, Verkehrskollaps: Themen rund um die Mobilität werden gerade heftig und emotional diskutiert. Seien es die Regeln für E-Scooter in den großen Städten, der darbende Nahverkehr, die verstopften Pendlerrouten, die maroden Brücken mit Endlos-Staus oder die mangelnde Taktung der S-Bahn – nahezu jeder ist auf Verkehrsmittel angewiesen und immer häufiger frustriert.

Wie aber soll eine Verkehrswende aussehen? Und was sind die Leute bereit, dafür zu zahlen? Das RWI – Leibniz-In­stitut für Wirtschaftsforschung in Essen hat gemeinsam mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) diese Themenstellung in einer breit angelegten Studie untersucht. Sie liegt unserer Redaktion exklusiv vor.

An der Befragung, die das Institut Forsa im Sommer 2018 durchgeführt hat, beteiligten sich knapp 7000 Haushalte bundesweit.

Was sind die Probleme, und wie können sie gelöst werden?

Die RWI-Forscher wollten zum einen wissen, wie die Deutschen überhaupt zur Mobilität stehen. Außerdem hat sie interessiert, wie viele Sorgen sich die Menschen um Probleme wie Staus und die Verschmutzung der Luft machen.

Im zweiten Schritt ging es darum, wie diese Probleme gelöst werden können. Dabei sollten die Befragten mögliche verkehrspolitische Maßnahmen bewerten.

Das Ergebnis ist eindeutig: Mobilität beschäftigt die Deutschen sehr. So sind mehr als 82 Prozent der Befragten besorgt, dass Pendeln immer mehr Zeit in Anspruch nehmen wird. Knapp 80 Prozent fürchten, dass die Luftverschmutzung in Städten durch den Autoverkehr deutlich schlimmer wird.

Viele Befragte würden der Umwelt wegen aufs Fahrrad umsteigen.
Viele Befragte würden der Umwelt wegen aufs Fahrrad umsteigen. © dpa | Lino Mirgeler

Doch die Konsequenzen, die Menschen daraus ziehen wollen, sind unterschiedlich: Eine Mehrheit der Deutschen befürwortet der Studie zufolge eine Neuaufteilung des öffentlichen Raums zugunsten von Fahrrad und dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) auch auf Kosten von Parkplätzen und Fahrspuren für den Autoverkehr.

Auch gegen Fahrstreifen für Busse und Bahnen auf staubelasteten Straßen hat fast niemand etwas – knapp 70 Prozent sprechen sich dafür aus, 21 Prozent haben keine Meinung, nur zehn Prozent der Befragten sind dagegen.

Der Ausbau der Infrastruktur für Elektromobilität erhält mit 66 Prozent ebenfalls eine hohe Zustimmungsrate, nur rund zwölf Prozent der Befragten sprechen sich dagegen aus. Auch ein Ausbau von Fahrradwegen auf Kosten von Autoparkplätzen befürworten 50 Prozent, 28 Prozent lehnen diesen Vorschlag ab.

Höhere Kosten für das Parken in Innenstädten werden abgelehnt

Radikalere Vorschläge jedoch blitzen ab: Autofreie Innenstädte oder einen Zulassungsstopp für Verbrennungsmotoren ab 2035 finden keine Mehrheit. Zwar ist rund die Hälfte der Befragten dafür, dass Fahrzeuge, die Schadstoffgrenzwerte überschreiten, ein Fahrverbot erhalten. Für eine höhere Besteuerung von Dieselautos sprechen sich jedoch nur 36 Prozent aus. Ein generelles Verbot von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor ab 2035 befürworten nur 28 Prozent.

Noch ablehnender erweisen sich die Deutschen, wenn es um das eigene Portemonnaie geht: Höhere Kosten für das Parken in Innenstädten lehnt mehr als die Hälfte der Befragten ab. Nur 21 Prozent finden es wünschenswert, 57 Prozent sind gegen diese Maßnahme. Dabei wären aus Sicht der Studienautoren angemessene Parkgebühren die effizienteste Lösung, das Parkproblem in Innenstädten in den Griff zu bekommen.

„Damit würden nur noch diejenigen in den vollen Innenstädten parken, denen der Parkplatz sehr viel wert ist – etwa, weil sie keine andere Möglichkeit haben, in die Stadt zu kommen, oder dringend etwas besorgen müssen“, schreiben sie. Andere würden auf günstigere Alternativen wie das Fahrrad oder den öffentlichen Personennahverkehr umsteigen.

Zustimmungsrate zur Verkehrswende liegt auch am Alter

Zur Verkehrswende gehören auch Fahrverbote.
Zur Verkehrswende gehören auch Fahrverbote. © dpa | Marijan Murat

Interessant ist der Unterschied der Meinungen zwischen Ost und West: Die Zustimmung zu neuen verkehrspolitischen Maßnahmen zugunsten von Rad und ÖPNV ist in Westdeutschland im Durchschnitt deutlich höher als in Ostdeutschland.

Auch sind die Jüngeren eher für eine Verkehrswende zu begeistern als ältere Menschen. Auch bei der Frage nach einem Ausbau der Infrastruktur für Elektromobilität sinkt die Zustimmung mit zunehmendem Alter. Akademiker und Mitglieder von Umweltorganisationen weisen höhere Zustimmungsraten für sämtliche Maßnahmen auf.

Was aber auffällt: Zwischen Gut- und Geringverdienern gibt es nicht viele Unterschiede. Eine Ausnahme ist die Frage nach höheren Parkkosten in Innenstädten. Hier steigt die Ablehnung mit sinkendem Nettohaushaltseinkommen. Klar: Wer wenig verdient, möchte nicht mehr für das Parken aufwenden.

Außerdem gibt es große Unterschiede zwischen Männern und Frauen. So stimmen die weiblichen Teilnehmer der Studie eher für autofreie Innenstädte, Fahrverbote für Fahrzeuge, die Grenzwerte überschreiten, Busspuren und ein Neuzulassungsverbot von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor ab 2035. Andererseits lehnen Frauen höhere Parkkosten in Innenstädten, einen Ausbau der Infrastruktur für Elektromobilität und höhere Dieselbesteuerung eher ab.

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Allgemein betrachtet geht aus der Studie auch hervor, dass Pkw-Besitzer allen Maßnahmen ablehnender gegenüberstehen als Haushalte, in denen kein Auto zur Verfügung steht. Denn die meisten Maßnahmen wirken sich auf die Kosten des Autofahrens und -besitzes (höhere Parkkosten, höhere Dieselbesteuerung) aus oder schränken die Nutzung des Autos ein (autofreie Innenstädte, Fahrverbote für Fahrzeuge, die Grenzwerte überschreiten, Ausweisung von Fahrradwegen, wenn nötig auf Kosten von Autoparkplätzen).

Bevölkerung fordert mehr Platz für Fahrräder und Busse

Welche Erkenntnis leiten die Forscher aus der Studie ab? „Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass sich die Menschen in Deutschland grundsätzlich eine andere Verkehrspolitik und eine Förderung alternativer Verkehrsformen wünschen“, sagt RWI-Wissenschaftler Mark Andor, einer der Autoren der Studie. „Für gravierendere Einschränkungen des Autoverkehrs findet sich aber derzeit keine Mehrheit.“

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU).
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). © dpa | Lisa Ducret

Co-Autorin Lisa Ruhrort, Wissenschaftlerin am WZB, ergänzt: „Eine Mehrheit ist offenbar überzeugt, dass Fahrrad und ÖPNV zukünftig mehr Platz in den Städten brauchen – auch wenn dafür der Platz für den Autoverkehr verringert werden muss. Dies ist ein Hinweis auf eine gesellschaftliche Veränderung: Das Auto wird nicht mehr als ‚heilige Kuh‘ der Verkehrspolitik behandelt, sondern als ein Verkehrsmittel unter anderen.“

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) passt die Verkehrspolitik allmählich an. Seine Ankündigung, die Straßenverkehrsordnung zu ändern und Pkw oder Krafträder mit Beiwagen mit mindestens drei Personen und E-Tretroller die Busspuren zu öffnen, ist ein erster Schritt in diese Richtung. Doch die Autoren betonten auch, dass die Verkehrswende nicht kostenlos sein wird. Bei der Ausstattung der Städte mit mehr Bussen, Bahnen und E-Ladesäulen müsste die öffentliche Hand gemeinsam mit Unternehmen liefern.

Und: „Die Nutzer werden mitfinanzieren müssen, wie das Beispiel der Parkgebühren verdeutlicht. Hier müssen die Politiker deutlich mehr Überzeugungsarbeit leisten.“