Washington/New York. Am Mittwoch wurde die Anklage gegen Donald Trump erwartet. Bis er persönlich ins Blickfeld gerät, wird es allerdings noch dauern.

Eine mögliche Anklageerhebung gegen Ex-Präsident Donald Trump zieht sich in die Länge. Weder die von Trump persönlich für Dienstag angekündigte Festnahme noch die für Mittwoch avisierte zentrale Abstimmung der 23-köpfigen Geschworenen-Jury hat stattgefunden.

Wie am Mittag aus New Yorker Justizkreisen durchsickerte, sei die „Grand Jury”-Sitzung abgesagt worden. Gründe? Unbekannt. Den Juroren sei aufgegeben worden, sich für Donnerstag bereitzuhalten. Insider spekulieren, dass sich das Procedere bis in die nächste Woche verschieben könnte.

Warum der leitende Staatsanwalt Alvin Bragg, dem Trump eine “Hexenjagd” vorwirft, die Sitzung abgesagt hat, ist öffentlich bisher unklar. Trump selber konstruiert aus der Verzögerung die Option, dass es überhaupt nicht zu einer Anklage gegen ihn kommen könnte. Dafür gibt es bisher aber keine Anhaltspunkte.

Der Auftakt zu einer Premiere historischen Ausmaßes sollte zuvor eigentlich am Mittwochnachmittag im Süden Manhattans beginnen. Im Gerichtsgebäude an der Centre Street sollten laut US-Medien eine maximal 23-köpfige Geschworenen-Jury darüber abstimmen, ob Donald Trump wegen mutmaßlich illegal verbuchter und zu Wahlkampfzwecken eingesetzter Schweigegeld-Zahlungen von 130.000 US-Dollar an die Porno-Darstellerin Stormy Daniels strafrechtlich angeklagt wird. Als erstes ehemaliges (oder amtierendes) Staatsoberhaupt in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika.

Trump selbst wird erst kommende Woche ins Blickfeld geraten

Stimmen 12 Juroren mit "Ja", gehen die von Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg verantworteten Ermittlungen auf die Zielgerade. Trump selbst geriete nach dem bisher gehandelten Procedere (das sich jederzeit ändern kann) erst nächste Woche persönlich ins Blickfeld. Was dazwischen liegt, beschreiben Justiz-Kreise so:

Nach Mehrheitsbeschluss zur Anklage-Erhebung wird ein formales Schreiben (indictment) aufgesetzt, das der Vor-Mann beziehungsweise die Vor-Frau der Jury unterschreibt. Es wird katalogisiert, ins System eingespeist. Trump hat ab dann ein Aktenzeichen. Die konkreten Anklage-Vorwürfe, die den Geschworenen hinter verschlossenen Türen vorher detailliert auseinandergelegt wurden, werden versiegelt.

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Ex-Präsident will sich laut Anwälten Behörden stellen

Die Öffentlichkeit erfährt darüber bis zum "Arraignment" zunächst nichts. Erst bei der offiziellen und öffentlichen Anklage-Verlesung vor einem Richter wird definitiv klar, welche Straftaten die Ankläger Trump vorwerfen. Das kann von einer Ordnungswidrigkeit bis zur echten Straftat gehen. Dieser Schlüssel-Termin könnte Anfang nächster Woche stattfinden.

Er setzt voraus, dass Trump vollauf kooperiert. Würde er sich weigern, müsste formal der Gouverneur des Bundesstaates Florida, wo Trump lebt, die Überstellung Trumps nach New York veranlassen. Das wäre pikant. Ron DeSantis ist der zurzeit stärkste Rivale Trumps im Kampf um die republikanische Präsidentschaftskandidatur 2024. Da Trumps Anwälte aber vorab erklärt haben, dass sich der Ex-Präsident den Behörden stellen wird, wird diesem Szenario kaum Bedeutung beigemessen.

Justiz "will keinen Zirkus" im Fall Trump

Unmittelbar vor der Anklage-Verlesung müsste Trump, um der sonst üblichen Verhaftung zu entgehen, persönlich im Gericht erscheinen, seine Personalien aufnehmen lassen, Fingerabdrücke abgeben und für die offiziellen "Mug-Shots" (Kartei-Fotos) in die Kamera gucken.

All das würde ohne Blitzlichtgewitter und Handschellen über die Bühne gehen. Die Justiz, heißt es, "will keinen Zirkus". Was Trump will, weiß man nicht. Gegenüber Vertrauten soll er Sympathie für die Vorstellung bekundet haben, vor den Augen der Welt-Öffentlichkeit mit breiter Brust ins Gefecht gegen eine "korrupte Justiz" zu ziehen.

Vor dem Richter haben die Anwälte Trumps, dem vorher das Recht zu schweigen erklärt wird, beim "Arraignment" die Gelegenheit, ihren Mandanten auf unschuldig plädieren zu lassen.

Trump-Anhänger versammeln sich in New York, um gegen die mögliche Verhaftung von Donald Trump zu protestieren.
Trump-Anhänger versammeln sich in New York, um gegen die mögliche Verhaftung von Donald Trump zu protestieren. © Joseph Prezioso / AFP

Donald Trump wäre bis zum Prozessbeginn frei

Weil keine Fluchtgefahr besteht (Trump ist Präsidentschaftskandidat für 2024) und bei den in Rede stehenden Delikten keine Menschen zu Schaden kamen, müsste Trump bis zum Prozessbeginn nach dem Gesetz keine Kaution hinterlegen. Er käme unmittelbar nach dem offiziellen Akt frei. Bis dahin ist wegen der Prominenz des Angeklagten-in-spe und der durch Trump durch einen Aufruf an seine Anhänger heraufbeschworenen Gefahr von gewalttätigen öffentlichen Protesten hinter den Kulissen viel Kleinarbeit zu erledigen.

Spätestens ab Donnerstag würde das Team von Staatsanwalt Bragg Kontakt mit Trumps Anwälten und dem rund um die Uhr für den Personenschutz des Ex-Präsidenten verantwortlichen Secret Service aufnehmen.

Zu klären ist: Wann muss Trump, vermutlich aus seinem Florida-Domizil Mar-a-Lago, mit dem Flugzeug nach New York kommen? Welche Route wird der Sicherheitskonvoi in die Stadt nehmen? Wann wird der Secret Service einen Sicherheits-Check des weitläufigen Justiz-Gebäudes durchführen, das Trump aufsuchen muss? Wie wird das alles mit der New Yorker Polizei koordiniert?

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Team von Trump versucht Prozesse herauszuzögern

Wichtig: Die offizielle Anklage bedeutet nicht automatisch sofort einen öffentlichen Prozess. Vor allem die Trump-Seite wird versuchen, eine Gerichtsverhandlung herauszuzögern. So hat sie es gerade in einem anderen, ebenfalls in New York verhandelten Fall versucht, den die Staatsanwältin Letitia James leitet.

Dabei geht es um massive Betrugsvorwürfe im dreistelligen Millionen-Dollar-Volumen gegen Trump, seine ältesten drei Kinder Donald Jr., Eric und Ivanka, die im Konzern des Immobilien-Unternehmers beschäftigt sind oder waren, und den zurzeit inhaftierten früheren Finanz-Chef Allen Weisselberg. Am Dienstag entschied der zuständige Richter Arthur Engoron, dass der Prozess am 2. Oktober dieses Jahres in New York beginnt.

Weitere Anklagen gegen den ehemaligen Präsidenten laufen

Noch drastischer geht Trumps Verteidiger-Team im Bundesstaat Georgia vor. Dort steht eine Anklage wegen nachträglicher Beeinflussung der Präsidentschafts-Wahl von 2020 zur Debatte. Trump hatte persönlich den obersten Wahlbeamten Brett Raffensperger gedrängt, nachträglich rund 12.000 Stimmen aufzutreiben, um Joe Biden den Sieg zu nehmen.

Jetzt verlangten Trumps Verteidiger die Abberufung von Staatsanwältin Fani Willis und die Auflösung einer Geschworenen-Jury, die seit Monaten mit den Details darüber vertraut gemacht wurde, wie Trump die Demokratie aushebeln wollte. Trumps Ansinnen wird in Justiz-Kreisen in Atlanta "null Erfolgschancen" eingeräumt.

Während Trump im Fall Schweigegeld bisher noch auf den Beistand der republikanischen Parteispitzen zählen kann, die Staatsanwalt Bragg als "korrupten" Juristen verunglimpfen, der einen aktuellen Präsidentschaftsbewerber ausschalten wolle, geben aktuelle Umfragen im Volk Trump nur bedingt Schützenhilfe.

70 Prozent der Menschen glauben an Schweigegeld-Zahlung

Nur eine verschwindende Minderheit der Amerikanerinnen und Amerikaner (8 Prozent) hält laut Reuters/Ipsos Trumps Beteuerung für glaubhaft, er habe überhaupt keine Affäre mit Stormy Daniels gehabt. 70 Prozent der Befragten halten es für realistisch, dass vor der Präsidentschaftswahl 2016 Geld an die Porno-Darstellerin geflossen ist, um Trumps außereheliches Kurzabenteuer nicht öffentlich werden zu lassen. Auch aussagekräftig: Die Hälfte der Amerikaner hält die juristische Zuspitzung des seit mindestens fünf Jahren bekannten Falls für politisch motiviert.

Noch aussagekräftiger: 44 Prozent der republikanischen Wählerinnen und Wähler plädieren dafür, dass Trump seine Präsidentschaftskandidatur zurückzieht, wenn er offiziell in die Mühlen der Justiz geraten sollte. Genau das hatte der 76-Jährige vor Kurzem ausgeschlossen. Er hat dabei die Verfassung auf seiner Seite. Ein strafrechtliche Anklage ist formal kein Hinderungsgrund auf dem Weg ins Weiße Haus.