Berlin. Der Täter von Hanau hatte wohl ein rassistisches Motiv. Damit ist der Anschlag Teil einer Serie rechter Gewalttaten. Eine Chronologie.

Der Anschlag von Hanau macht einmal mehr deutlich, wie groß die Gefahr von Rechts ist. Das Gewaltverbrechen mit elf Toten hatte mutmaßlich rassistische Hintergründe. Damit würde sich diese Tat in eine Serie von Gewalttaten einreihen, deren Auslöser Rechtsextremismus war.

Seit der Wiedervereinigung 1990 werden Opfer rechtsextremer Gewalt in Deutschland erfasst. Die Behörden zählten seitdem offiziell 94 Todesopfer. Die Amadeu Antonio Stiftung geht von einer höheren Zahl aus: mindestens 198 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990. Die Stiftung kritisiert, dass viele Fälle fälschlicherweise nicht als politische Gewalt eingestuft würden.

Der jüngste Jahresbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz geht von 24.100 Rechtsextremen in Deutschland aus – das ist die in der Geschichte der Bundesrepublik höchste Zahl. Gut die Hälfte davon – 12.700 - gelten als gewaltbereit.

Eine Chronologie der rechten Gewalt in Deutschland:

  • Hanau, Februar 2020: In Hanau tötete der mutmaßliche Täter Tobias R. zehn Menschen. Die Tatorte: eine Shisha-Bar in der Innenstadt und ein Kiosk im Stadtteil Kesselstadt – dort erschießt der mutmaßliche Täter neun Personen – alle hatten einen migrantischen Hintergrund, fünf von ihnen einen türkischen Pass. Am Morgen nach der Tat findet die Polizei den 43-Jährigen sowie seine 72-jährige Mutter tot in seiner Wohnung. Lesen Sie alle Entwicklungen nach den Schüssen in Hanau in unserem Newsblog. Der Überblick: Was wir über den Anschlag in Hanau wissen – und was nicht.
  • Halle, Oktober 2019: In Halle in Sachsen-Anhalt versucht Stephan B. in die dortige Synagoge einzudringen. Als das misslingt, erschießt er auf der Straße eine 40 Jahre alte Frau und später in einem Imbiss einen 20 Jahre alten Mann. Nach Auffassung der Ermittler wollte B. aus rechtsextremen Motiven in der Synagoge ein Massaker anrichten. Die Synagoge war am Feiertag Jom Kippur voll besetzt.
  • Kassel, Juni 2019: Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wird zu Hause auf seiner Terrasse erschossen. Mutmaßlicher Todesschütze ist der Rechtsextreme Stephan E.. Motiv für den Mord sind vermutlich Äußerungen Lübckes aus der Zeit der Flüchtlingskrise 2015.
  • München, Juli 2016: Der 18 Jahre alte David S. erschießt am Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) neun Menschen, bevor er sich selbst erschießt. Die zum großen Teil jugendlichen Opfer stammten aus Einwandererfamilien. S. kannte seine Opfer nicht, wählte sie aber offenbar aufgrund ihres Aussehens aus. Mehr als drei Jahre nach der Tat und auf Grundlage mehrerer Gutachten stuften die Ermittler die Morde vergangenes Jahr als rechtsextremen Anschlag ein. Die Waffe hatte sich der Täter im Darknet besorgt.
  • Köln, Oktober 2015: Ein Rechtsextremist greift die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker mit einem Messer an und verletzt diese sowie eine neben ihr stehende Frau schwer. Auslöser soll Unzufriedenheit mit Rekers Flüchtlingspolitik gewesen sein.
  • Eisenach, November 2011: Die Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) fliegt nach einem Banküberfall auf. Bis zum Jahr 2007 töten die beiden Männer insgesamt neun Migranten und eine Polizistin, sie begehen zwei Sprengstoffanschläge und mehr als ein Dutzend Überfälle. Beate Zschäpe sorgt für den Anschein eines bürgerlichen Lebens im Untergrund. Die meisten Todesopfer waren Gewerbetreibende mit türkischen oder griechischen Wurzeln. Bekannt wird die Terrorserie erst 2011 nach einem mutmaßlichen Suizid von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, Zschäpe verschickt danach Bekennervideos zu den Taten. Sie wird zu lebenslanger Haft verurteilt.
  • Düsseldorf, Juli 2000: Bei einem Attentat auf Zuwanderer aus Osteuropa werden zehn Menschen verletzt, ein ungeborenes Kind stirbt. Der Sprengsatz war an der S-Bahn-Station Wehrhahn befestigt. Das Landgericht spricht einen Verdächtigen mit Kontakten in die rechte Szene wegen „dürftiger Beweislage“ Mitte 2018 frei. Die Tat ist weiter ungeklärt.
  • Solingen, Mai 1993: Bei einem Brandanschlag auf das Haus einer türkischen Großfamilie werden fünf Frauen und Mädchen getötet, 14 Menschen werden verletzt. Die vier Täter aus der Solinger Neonaziszene werden wegen Mordes verurteilt.
  • Mölln, November 1992: Neonazis setzen ein von Türken bewohntes Haus in der schleswig-holsteinischen Stadt in Flammen. Drei Frauen sterben. Ein Täter muss lebenslänglich in Haft, sein jugendlicher Komplize für zehn Jahre.
  • München, Februar 1970: Sieben Menschen sterben bei einem nächtlichen Brandanschlag auf das Altenheim der Israelitischen Kultusgemeinde. Brennendes Benzin hatte den Opfern den Fluchtweg versperrt. Wer für das Attentat auf die jüdischen Bewohner verantwortlich ist, wird nie geklärt.

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