Washington. Elizabeth Warren ist die neue Nr. 1 im Kandidatenfeld der Demokraten für 2020 – in Ohio zeigt sie, was die Trump-Gegnerin auszeichnet.

Nach drei Stunden Sperrfeuer aus den eigenen Reihen sind selbst die besten Polit-Profis groggy. Elizabeth Warren, biologisch 70, gefühlt allenfalls 55, springt nach dem Rededuell der demokratischen Präsidentschaftskandidaten in Westerville/Ohio wie ein junges Mädchen über die Bühne.

Sie schüttelt Hände, lacht entspannt und lässt sich zu einem der „gut 70.000 Selfies“ überreden, die sie nach eigenen Worten seit Silvester 2018 absolviert hat. Botschaft: Meinetwegen könnten wir noch ein Stündchen dranhängen, ich bin fit.

An jenem Tag im vergangenen Winter begann die bis 1996 als Republikanerin eingetragene Senatorin aus Massachusetts ihren Marathon auf Washington. Anfangs belächelt und für viel zu weit links befunden, hat sich die „Sachverständige mit Herz“, wie ihre Fans sie nennen, durch strategisch angelegte Kärrnerarbeit und zahllose Bürgerkontakte an die Spitze des Bewerberfeldes gerobbt, aus dem die Demokraten in der ersten Jahreshälfte 2020 den Herausforderer für Donald Trump bestimmen.

Elizabeth Warren gewinnt stetig an Zuspruch

Dass Warren, die erst im Alter von 63 in die Politik ging, echte Chancen hat, als Kandidatin in die Fußstapfen der 2016 gescheiterten Hillary Clinton zu treten, hat interne wie externe Gründe. Der bisherige Favorit Joe Biden, geplagt von den bisher unfundierten Korruptionsvorwürfen Trumps im Fall Ukraine, verliert schleichend an Rückhalt. Ähnlich sieht es bei Warrens „Bruder im Geiste“, Bernie Sanders, aus.

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    Dagegen wächst bei Warren der Zuspruch beständig und organisch, wie alle Umfragen belegen. Die Mutter von zwei erwachsenen Kindern lebt im Fernsehen, was sie auch bei Live-Kundgebungen auszeichnet; egal, ob 200 oder 20.000 Menschen vor ihr stehen. Sie ruht in sich. Sie ist authentisch. Sie verkörpert Kampfgeist.

    Warren stammt aus armen Verhältnissen

    Warren, Tochter Amelia, Enkelkinder und Ehemann Bruce.
    Warren, Tochter Amelia, Enkelkinder und Ehemann Bruce. © Boston Globe via Getty Images | Boston Globe

    Und sie spricht eine Sprache, die Alltagsprobleme kennt: Was nutzt eine Krankenversicherung, wenn bei teuren Krebsbehandlungen die Kasse doch nicht zahlt und Menschen sich bis zum Bankrott verschulden müssen? Warren, die aus armen Verhältnissen in Oklahoma stammt, war 13, als ihr Vater einen Herzinfarkt erlitt und die Familie an den Rand des Ruins geriet.

    Dass Warren ihre Vision eines prinzipiell dem Gemeinwohl verpflichteten Unternehmertums stets besonnen vorträgt und Kritik daran mit ruhiger Stimme retourniert, imponiert vielen in einem Land, in dem vom Präsidenten angefangen oft nur noch unter die Gürtellinie gezielt wird. Aber wenn Warren, die detailversessen ist und für alle Politikfelder „einen Plan hat“, vor kleinmütiger Schräubchendreherei warnt, wo doch „große, strukturelle Veränderungen“ unabdingbar seien, geht der Konkurrenz der Hut hoch.

    Toll, Elizabeth, aber wer soll’s bezahlen?

    Am deutlichsten wird das Missfallen regelmäßig bei einem ihrer Paradethemen. Warren will, wie Sanders, eine allgemeine staatliche Krankenversicherung („medicare for all“) nach europäischem Vorbild. Als Joe Biden ihr in Ohio vorhielt, dies würde über zehn Jahre die astronomische Summe von 30 Billionen Dollar kosten, blieb die im links-progressiven Spektrum der Partei verortete Juristin wie viele Male zuvor vage: Reiche und große Konzerne kämen für die „Kosten“ auf, sagte sie, die Mittelschicht würde nicht höher belastet. Obwohl alle Experten Steuererhöhungen für unausweichlich halten.

    Glaubwürdigkeit und Verständnis für Alltagssorgen kann Elizabeth Warren aus ihrer Biografie ableiten. Geboren 1949. Drei Brüder. Vater Hausmeister. Mutter im Versandhandel tätig. In der Schule fiel sie als blendende Rednerin auf. Erste Heirat mit Anfang 20. Ein Nasa-Mathematiker. Viele Umzüge. Zwei Kinder. Ausbildung zur Sprachtherapeutin. Dann die Scheidung. Jurastudium. Doktortitel 1976. Zweite Heirat 1980. Akademische Laufbahn an der Eliteuniversität Harvard. Im Mittelpunkt immer wieder: der Verbraucher. Und die Bedrohungen, denen er durch Konzerne und Staat ausgesetzt ist.

    Warrens Pläne: Facebook zerschlagen, Reichensteuer, Fracking-Verbot

    Ihr politisches Erweckungserlebnis waren die vielen Privatinsolvenzen in den 80er-Jahren. Warren fuchste sich in die Details, schrieb Bücher und landete nach der Weltfinanzkrise 2008 an der Spitze der von Präsident Obama eingerichteten Konsumentenschutzbehörde für den Finanzsektor (CFPB).

    Von hier aus entwickelt Warren bis heute ihre streng nach Umverteilung riechenden Konzepte: Sie will mehr Gewerkschaftsbeteiligung in Großunternehmen. Sie will Internetgiganten wie Facebook in kleinere Einheiten filetieren. Sie will für Vermögen über 50 Millionen Dollar eine Reichensteuer. Sie will das umweltschädliche Fracking bei der Gewinnung von Öl und Gas verbieten. Sie will das Gefängnissystem revolutionieren. Sie will das von Trump 2016 eroberte ländliche Amerika zurückgewinnen.

    Elizabeth Warren setzt auf ihre Steherqualitäten

    Dass sich all das weit links von der Mitte abspielt, die Joe Biden als seinen angestammten Platz betrachtet, und Lichtjahre entfernt von Donald Trump, der sie als Barrikaden stürmende Sozialistin verunglimpft, ist Elizabeth Warren bewusst. Es schert sie nicht.

    In Ohio versteckte sie ihren Machtanspruch in einer Botschaft, die in Erinnerung bleiben wird. Mit Arbeit, Organisationsvermögen und Steherqualitäten werde sie jeden schlagen, sagte sie. In den eigenen Reihen und bei den Republikanern.