Washington. Fox-Moderator Tucker Carlson zeichnet das Bild von „lammfrommen Schaulustigen”. Trump freut sich. Opfer und Politiker sind empört.

Zwei Jahre und zwei Monate nach dem blutigen Sturm auf die Herzkammer der US-Demokratie in Washington durch von Präsident Donald Trump angestachelte Gewalttäter versucht der quotenstärkste Polit-TV-Sender Fox News die Geschichte radikal umzuschreiben.

Am 6. Januar 2021 waren Hunderte nach einer Trump-Kundgebung am Weißen Haus zum Kongress gelaufen, um die dort anstehende Beglaubigung des Wahlsieges von Joe Biden zu verhindern.

Trump hatte seinen teils militanten Anhängern vorher eingetrichtert, er sei das Opfer des größten Wahlbetruges in der Geschichte der USA geworden. Um die Demokratie und ihr Land zu retten, müssen die Demo-Teilnehmer „höllisch kämpfen”. Die Erstürmung verfolgte Trump seelenruhig am Fernseher mit. Erst nach Stunden rief er seine Fans zu Ruhe und Abzug auf. Nach dem schwärzesten Tag in der jüngeren US-Geschichte waren fünf Menschen tot, darunter eine Pro-Trump-Demonstrantin.

Fox-News: Video-Material kam vom Chef des Repräsentantenhauses

Das Kontrastprogramm: Es habe gar keinen „gewaltsamen Aufstandsversuch” gegeben, erklärte Fox-Star-Moderator Tucker Carlson, sondern mehrheitlich „gesittete und lammfromme Schaulustige”, die an jenem Tag das Kapitol in der Hauptstadt aufgesucht hätten. Carlson hat pro Abend rund drei Millionen Zuschauer.

Auf Grundlage von zehntausenden Stunden Video-Material, das der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, Carlsons Redaktion exklusiv zur Verfügung gestellt hatte, destillierte der Polit-Showmaster Bilder heraus, die weder das blindwütige Verprügeln von Polizisten mit Rohrstangen zeigten, noch die marodierenden Horden von Trump-Anhängern, die nach Einbruch in das Kongress-Gebäude auf der Suche nach Spitzenpolitikern wie Mike Pence waren.

Trumps Vize-Präsident sollte gehängt werden, weil er sich dem Drängen seines Chefs, Biden zu verhindern, widersetzt hatte. Er konnte in letzter Minute in Sicherheit gebracht werden.

Mehrfach erhob Carlson den Vorwurf, das Gros der Medien und die Demokraten hätten das amerikanische Volk belogen, um von „Verrat” bei der Präsidentschaftswahl 2020 abzulenken und Trump zu diskreditieren.

Der wiederum bedankte sich zügig bei Carlson für die „Enthüllung” und forderte die Freilassung all derer teilweise zu Haftstrafen von fünf Jahren und mehr verurteilten Straftätern, die für ihr Tun am 6. Januar 2021 im Gefängnis sitzen. Außerdem müssten die Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungs-Ausschusses, der nach monatelanger Arbeit strafrechtliche Schritte gegen Trump empfahl, angeklagt werden.

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Angehörige eines toten Polizisten sind empört

Besondere Wellen schlug Carlsons verzerrte Darstellung des Kapitol-Polizisten Brian Sicknick. Carlson zeigte Bilder, die den Ordnungshüter im Laufe der Geschehnisse vom 6. Januar im Kongress zeigen – lebendig und scheinbar unverletzt. Zu diesem Zeitpunkt hätten die meisten Medien (was nicht stimmt) wider besseres Wissen berichtet, Sicknick sei von Demonstranten erschlagen worden.

Dass der Polizist am Tag darauf laut Gerichtsmedizin an den Stress- und Einsatz-bedingten Folgen von zwei Schlaganfällen starb, dass ein Mann, der ihn mit Pfefferspray und Schlagstöcken traktiert hatte, später 80 Monate Gefängnis bekam, erwähnte Carlson nicht. Sicknicks Familie reagierte mit Empörung und Abscheu auf Carlsons Intonierung: „Sie reißen frische Wunden wieder auf.”

Tom Manger, der Chef der Kapitols-Polizei, warf Carlson durch das Verbreiten oberflächlich betrachtet harmloser Bilder das Herauspicken von „Rosinen” vor. Sicknick, sagte der Top-Beamte, wäre nicht am 7. März gestorben, „hätte er an dem Tag, an dem er gewaltsam angegriffen wurde, nicht stundenlang tapfer gekämpft”.

Republikanische Senatoren nennen Bericht „skandalös”

Dieser Kritik schlossen sich etliche Hochkaräter der republikanischen Partei an, die sich insgesamt bis heute schwer tut mit einer konsequenten Verurteilung der Rolle Trumps am 6. Januar 2021.

Mitch McConnell, der Minderheitsführer der Republikaner im Senat, stellte sich hinter Polizei-Chef Tom Manger, der „korrekt beschrieben hat, was die meisten von uns am 6. Januar aus erster Hand miterlebt haben”. Senator Mitt Romney aus Utah nannte Carlsons Report „skandalös” und „absurd”. Senator Thom Tillis aus North Carolina nannte die Berichterstattung unentschuldbar” und weitgehend „Bullshit”.

Der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, sprach von einer „der beschämendsten Stunden, die wir je im Fernsehen gesehen haben”. Trump nahestehende Abgeordnete wie Marjorie Taylor Greene applaudierten Carlson hingegen. Die Politikerin aus Georgia verlangte erneut die Freilassung von Dutzenden verurteilten Straftätern, die wegen ihrer Beteiligung am 6. Januar hinter Gittern sitzen.