Brüssel. Erst waren sie Konkurrenten, nun steuern Deutschland und die EU-Staaten um. Warum es 2023 dennoch schwer wird, die Speicher zu füllen.

Vor dem Winter sind die Gasspeicher überraschend gut gefüllt: In Deutschland gibt der Speicherverband Gas Infrastructure Europe den Füllstand aktuell mit 96,3 Prozent an – das Ziel von 95 Prozent, das eine neue Verordnung für den 1. November vorschreibt, ist also vorzeitig erreicht. EU-weit liegt der Füllstand bei 92,4 Prozent – das europäische Ziel von 80 Prozent für Anfang November ist also ebenfalls übererfüllt.

Doch die zügige Bevorratung ist teuer bezahlt. In regelrechten Panikkäufen haben Deutschland und die anderen EU-Staaten vor allem im Sommer buchstäblich um jeden Preis die Speicher gefüllt – und sind sich dabei gegenseitig ins Gehege gekommen.

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, hat eine „große Nervosität“ beobachtet: „Die Konkurrenz der Mitgliedstaaten untereinander um Gas hat dazu geführt, dass die Preise in Europa höher sind als in Asien.“ Das soll sich jetzt ändern, die EU will nicht mehr jeden Gaspreis bezahlen.

Stattdessen soll Europa vereint seine große Marktmacht ausspielen: Wenn die EU-Staats- und Regierungschefs an diesem Donnerstag zum Gipfel in Brüssel zusammenkommen, werden sie sich auf den gemeinsamen Einkauf für die Gasbevorratung 2023 verständigen, wie im Vorfeld in EU-Ratskreisen bestätigt wurde. Zumindest einen Teil der Gaseinkäufe sollen Deutschland und die EU-Partner verbindlich über eine gemeinsame Plattform abwickeln. Damit sollen günstigere Gaspreise für alle EU-Staaten ausgehandelt werden können.

Gaseinkauf in der EU: Bundesregierung will Kritik an ihrem Kurs dämpfen

Die EU-Kommission hat dazu diese Woche vorgeschlagen, dass anfangs mindestens 15 Prozent des Erdgases für die Speicherbefüllung gemeinsam ausgeschrieben und eingekauft werden. Die geschätzt 14 Milliarden Kubikmeter entsprechen knapp einem Drittel der Menge, die bislang jährlich durch die Pipeline Nord Stream 1 geflossen ist.

Außerdem sollen europäische Gasunternehmen auf dem Weltmarkt als Konsortium auftreten dürfen, um günstigere Verträge mit Lieferanten auszuhandeln. Die Bundesregierung hatte sich lange gegen die gemeinsame Beschaffung ausgesprochen, weil sie erstmal die deutschen Speicher füllen wollte.

Jetzt steht Berlin mit an der Spitze der Bewegung. Der gemeinsame Gaseinkauf könnte die Kritik dämpfen, die in einer Reihe von EU-Staaten am Kurs der Bundesregierung in der Energiekrise laut wird: Deutschland habe sich nicht nur beim Gaseinkauf unsolidarisch verhalten und andere, kleinere EU-Staaten verdrängt, sondern verzerre mit dem „Doppelwumms“-Hilfspaket gegen die Energiekrise im Umfang von 200-Milliarden-Euro auch den Wettbewerb im Binnenmarkt, beklagen die Kritiker.

Energieagentur warnt Europa in der Energiekrise vor „Wildwest-Szenario“

Zudem ist inzwischen klar, dass volle Speicher allein nicht genügen. Im Ernstfall wäre Deutschland schon wegen fehlender LNG-Terminals ziemlich schnell auf die Solidarität der EU-Nachbarn angewiesen. Und das nicht nur in diesem Winter: Die große Sorge in Brüssel ist längst, dass die Gasversorgung im Winter 2023/24 noch viel schwieriger wird als in den kommenden Monaten. Bleibt russisches Gas weiter aus, wird das Befüllen der Speicher im Frühjahr und Sommer zur großen Herausforderung. Entweder die EU-Staaten stünden dann zusammen, warnt sogar die Internationale Energieagentur, oder es drohe ihnen ein „Wildwest-Szenario“.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.