Berlin. Bei der Vergabe der grünen Ministerposten setzt sich Özdemir gegen Hofreiter durch. Auch Göring-Eckardt wird nicht berücksichtigt.

Verantwortungsbewusst, staatstragend, fast ein bisschen streberhaft, das war das Auftreten der Grünen in den vergangenen Jahren. Fast konnte man vergessen, dass die Partei immer noch auf der Oppositionsbank saß. Jetzt kommt die Partei an, wo sie so lange hinwollte – am Kabinettstisch. Das Auswärtige Amt, das Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, das Umweltministerium, das Landwirtschaftsministerium und das Familienministerium sollen, wenn die Parteien zustimmen, in Zukunft in grüner Hand sein.

Kaum war das entschieden, lieferten sich die Grünen, sonst zuletzt so diszipliniert, einen handfesten Streit ums Personal. Bis in den späten Donnerstagabend rangen der linke Flügel der Partei und die Realos miteinander um Einfluss im zukünftigen Kabinett. Um kurz vor zehn Uhr stand dann fest: Ex-Parteichef Cem Özdemir ist drin – und die Fraktionsspitze aus Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt geht leer aus. In einer Email informierte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner die Parteimitglieder über das Personal, auf das sich der Bundesvorstand geeinigt hatte. Wie erwartet nominiert die Partei ihren Vorsitzenden Robert Habeck als Vizekanzler und Minister für Wirtschaft und Klimaschutz. Parteichefin Annalena Baerbock soll Außenministerin werden.

Grüne: Heftiger Streit um Ministerposten

Um die anderen drei Posten war am Donnerstag heftig gestritten worden. Denn mit Habeck und Baerbock sind zwei Realos teil der Mannschaft. Der linke Parteiflügel wollte deshalb Fraktionschef Anton Hofreiter gern als Landwirtschaftsminister sehen. Geworden ist es nun allerdings ein anderer: Der ehemalige Parteichef Cem Özdemir, immer noch eines der bekanntesten Gesichter der Partei. Özdemir hatte bei der Bundestagswahl seinen Wahlkreis mit 40 Prozent der Erststimmen direkt gewonnen. Am Abend hatten sich öffentlich der grüne baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz und die Hamburger Grüne Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin der Hansestadt, für ihn als Minister ausgesprochen. „Ich kann mir kein Kabinett mit grüner Beteiligung vorstellen, in dem Cem Özdemir nicht dabei ist“, schrieb Bayaz auf Twitter. „Und ich denke: so geht es den allermeisten in diesem Land.“

Mit Habeck, Baerbock und Özdemir sind die drei bekanntesten grünen Kabinettsmitglieder Realos. Das Gegengewicht bilden zwei Frauen aus dem linken Lager: Steffi Lemke aus Sachsen-Anhalt ist Bundestagsabgeordnete und war von 2002 bis 2013 Bundesgeschäftsführerin der Grünen. Sie soll Bundesumweltministerin werden.

Steffi Lemke soll Bundesumweltministerin werden.
Steffi Lemke soll Bundesumweltministerin werden. © picture alliance / Flashpic | Jens Krick

Für den Job der Familienministerin galt Fraktionschefin Göring-Eckardt als Favoritin. Doch die Thüringerin ist auch dem Realo-Teil der Partei zuzuordnen. Um ein Ungleichgewicht von vier zu eins zu vermeiden und zu verhindern, dass die feministischen Grünen mehr Männer als Frauen ins Kabinett schicken, musste das Haus an den linken Flügel gehen. Auftritt: Anne Spiegel. Die 40-Jährige ist bisher Umweltministerin in Rheinland-Pfalz, zuvor hatte sie dort fünf Jahre lang das Familienministerium geleitet.

Claudia Roth, bislang Bundestagsvizepräsidentin, soll Staatsministerin für Kultur und Medien werden.

Die grüne Ministermannschaft hat nun den Auftrag, das Kernprojekt der Grüne, die Klimaneutralität in Deutschland, umzusetzen. „Es ist kein Zufall, dass diese Ministerien so ausgewählt wurden“, sagte Parteichef Robert Habeck am Donnerstagnachmittag. „Ein vierblättriges Kleeblatt“ seien die von den Grünen geleiteten Häuser, mit dem Außenministerium aus Stiel oder Blüte, ausgewählt danach, wo die Partei am meisten umsetzen könne. Er appellierte an seine Partei, dem Vertrag in der Urabstimmung zuzustimmen. Wenn die Wirklichkeit durch grüne Ideen anders und besser werde, „dann können wir stolz sein“.

Grüne müssen Ampel zustimmen: Jetzt entscheiden die Mitglieder

Eine dieser Ideen ist der deutliche Ausbau von grünem Strom. Im Koalitionsvertrag ist verankert, dass bis 2030 80 Prozent des verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien kommen sollen. Konkret heißt das, dass Deutschlands Dächer in den kommenden Jahren mit Solaranlagen überzogen werden – „alle geeigneten Dachflächen“ sollen in Zukunft Strom produzieren.

Auch die Zahl der Windkraftanlagen muss drastisch steigen, wenn das ehrgeizige Ziel erreicht werden soll, und zwar überall, auch im eher windarmen Süden, wo bislang deutlich weniger stehen. Weil Deutschland dicht besiedelt ist, werden also in den nächsten Jahren in der Umgebung vieler Dörfer Windkraftanlagen in die Höhe wachsen. Den Konflikten, die entstehen, will die Ampel begegnen, indem sie die Kommunen an den Einnahmen beteiligt.

Cem Özdemir hat nun die schwierige Aufgabe, die Landwirtschaft so umzustellen, dass Natur, Landwirte und Verbraucher alle davon profitieren. Wie das gehen soll, zeigt sich am Beispiel der Tierhaltung im Koalitionsvertrag: Für die Haltungsbedingungen der Tiere soll es eine verpflichtende Kennzeichnung geben, bei der auch Transport und Schlachtung berücksichtigt werden. Gleichzeitig sollen Landwirte Geld bekommen, um die Haltungsbedingungen zu verbessern. Die Kosten dafür sollen „Marktteilnehmer“ tragen – also auch die Käuferinnen und Käufer, die zugunsten der Tierhaltung dann mehr Geld an der Ladenkasse lassen werden. Wie viel ist noch nicht klar.

Insgesamt soll die Quote für Ökolandbau deutlich steigern, von aktuell rund 10 auf 30 Prozent bis 2030. Der Einsatz von Pestiziden soll „deutlich verringert“ werden.

Ob diese und andere Projekte genug „grün“ im Koalitionsvertrag sind, müssen nun die Parteimitglieder entscheiden. Zehn Tage lang haben sie ab Freitag Zeit, um darüber abzustimmen, ob die Partei mit diesem Koalitionsvertrag und diesem Personal in eine Regierung eintreten soll.