Berlin/Chemnitz. Es gibt Hinweise, dass sich 2018 in Chemnitz Rechte zur „Jagd“ auf Ausländer verabredet haben. Über das Thema war Maaßen gestolpert.

Die tödliche Messerattacke in Chemnitz ist genau ein Jahr her – ebenso wie die rechten Krawalle, die sich daran anschlossen. Nun sind neue Details der Ermittlungen bekannt geworden - und die sollen belegen, dass es im August 2018 konkrete Verabredungen zur Gewalt gegen Migranten gekommen sei.

Das belegen Recherchen von „Süddeutscher Zeitung“, WDR und NDR. Demnach liegen dem sächsischen Landeskriminalamt (LKA) Handy-Chats rechter Demonstrationsteilnehmer vor, in denen das Wort „Jagd“ fiel. Laut der Recherchen wurden die Nachrichten mehrheitlich vom 26. und 28. August 2018 versendet.

Chats zu Chemnitz-Ausschreitungen – LKA nennt keine Details

Laut des Berichts wurden in den Chats außerdem Formulierungen benutzt, die die Ermittler unter anderem als Prahlerei über eine „angeblich erfolgreiche Jagd auf Ausländer“ deuten.

Nach den rechten Ausschreitungen und Videos war vor einem Jahr eine breite Diskussion darüber entbrannt, ob es „Hetzjagden“ auf Migranten gegeben hatte. Der früheren Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, hatte die Authentizität eines Videos zur Verfolgung von Ausländern bezweifelt. Er hatte gesagt, seiner Behörde lägen keine belastbaren Erkenntnisse zu Hetzjagden vor. So begründete Maaßen seine Aussage zum Chemnitz-Video.

Hintergrund: Die „Hetzjagd“ in Chemnitz – Wer sagt die Wahrheit?

Details zu den Ermittlungen nannte das sächsische LKA nicht. Es handele sich bei dem Zeitungsbericht um die „Zusammenfassung von Ermittlungsergebnissen, welche Bestandteil des Ermittlungsverfahrens sind, das der Generalbundesanwaltschaft zur Bearbeitung vorliegt“. Nur die verfahrensführenden Dienststelle äußere sich zu Bestandteilen des Verfahrens.

Die Auswertungen zum Beispiel der Chats hätten erst nach den Äußerungen Maaßens vorgelegen.

Chemnitz- Chronik eines Ausnahmezustands

In der Nacht vom 25. auf den 26. August wird in Chemnitz am Rande eines Stadtfestes ein 35-jähriger Mann niedergestochen. Am 27. August ziehen bereits tausende rechtsgerichtete Gruppen durch Chemnitz’ Straßen. Die Polizei hat Mühe, die Gruppe vom Gegenprotest fernzuhalten. Immer wieder versuchten sie Polizeiketten zu durchbrechen, werfen Flaschen und Böller. Die Polizei ermittelt gegen zehn Personen, die den Hitlergruß gezeigt haben.
In der Nacht vom 25. auf den 26. August wird in Chemnitz am Rande eines Stadtfestes ein 35-jähriger Mann niedergestochen. Am 27. August ziehen bereits tausende rechtsgerichtete Gruppen durch Chemnitz’ Straßen. Die Polizei hat Mühe, die Gruppe vom Gegenprotest fernzuhalten. Immer wieder versuchten sie Polizeiketten zu durchbrechen, werfen Flaschen und Böller. Die Polizei ermittelt gegen zehn Personen, die den Hitlergruß gezeigt haben. © dpa | Jan Woitas
Journalisten werden attackiert.
Journalisten werden attackiert. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Nach den Ausschreitungen liegen 37 Strafanzeigen vor, mehrheitlich zu Körperverletzungsdelikten, Sachbeschädigungen und Straftaten nach dem Versammlungsgesetz.
Nach den Ausschreitungen liegen 37 Strafanzeigen vor, mehrheitlich zu Körperverletzungsdelikten, Sachbeschädigungen und Straftaten nach dem Versammlungsgesetz. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Laut Polizei werden 18 Menschen verletzt, darunter drei Beamte.
Laut Polizei werden 18 Menschen verletzt, darunter drei Beamte. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Der 35 Jahre alte Daniel H. hatte deutsche und kubanische Wurzeln. Am Tatort werden zahlreiche Blumen und Kerzen niedergelegt.
Der 35 Jahre alte Daniel H. hatte deutsche und kubanische Wurzeln. Am Tatort werden zahlreiche Blumen und Kerzen niedergelegt. © dpa | Jan Woitas
Ein 23 Jahre alter Syrer und ein 22 Jahre alter Iraker werden verdächtigt, Daniel H. getötet und zwei weitere Männer durch Messerstiche zum Teil schwer verletzt zu haben. Als dringend tatverdächtig wird zudem ein 22-jähriger Iraker mit Haftbefehl gesucht.
Ein 23 Jahre alter Syrer und ein 22 Jahre alter Iraker werden verdächtigt, Daniel H. getötet und zwei weitere Männer durch Messerstiche zum Teil schwer verletzt zu haben. Als dringend tatverdächtig wird zudem ein 22-jähriger Iraker mit Haftbefehl gesucht. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Familienministerin Franziska Giffey (SPD) reist als erstes Mitglied der Bundesregierung nach Chemnitz und besucht den Tatort.
Familienministerin Franziska Giffey (SPD) reist als erstes Mitglied der Bundesregierung nach Chemnitz und besucht den Tatort. © dpa | Sebastian Kahnert
Am 1. September kommt es in Chemnitz erneut zu mehreren Demonstrationen.
Am 1. September kommt es in Chemnitz erneut zu mehreren Demonstrationen. © dpa | ---
Der Polizei zufolge stehen 8000 Teilnehmern rechtsgerichteter Proteste 3000 Gegendemonstranten gegenüber.
Der Polizei zufolge stehen 8000 Teilnehmern rechtsgerichteter Proteste 3000 Gegendemonstranten gegenüber. © dpa | Ralf Hirschberger
Auch Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, nimmt an der Demonstration teil.
Auch Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, nimmt an der Demonstration teil. © dpa | Ralf Hirschberger
Die Gegenseite will Gesicht zeigen: Am 3. September kommen rund 65.000 Zuschauer und Demonstranten in die sächsische Stadt, um unter dem Motto „#wirsindmehr“ gegen Rechts zu demonstrieren.
Die Gegenseite will Gesicht zeigen: Am 3. September kommen rund 65.000 Zuschauer und Demonstranten in die sächsische Stadt, um unter dem Motto „#wirsindmehr“ gegen Rechts zu demonstrieren. © dpa | Sebastian Kahnert
Bei dem Konzert treten unter anderem Marteria und Casper, Feine Sahne Fischfilet, Kraftklub und Die Toten Hosen auf.
Bei dem Konzert treten unter anderem Marteria und Casper, Feine Sahne Fischfilet, Kraftklub und Die Toten Hosen auf. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Campino, Sänger von Die Toten Hosen, setzt ein Zeichen gegen Rassismus.
Campino, Sänger von Die Toten Hosen, setzt ein Zeichen gegen Rassismus. © dpa | Sebastian Kahnert
„Die Würde des Menschen ist antastbar“ steht auf einem Banner in Anspielung auf Artikel 1 des Grundgesetzes. Darin heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
„Die Würde des Menschen ist antastbar“ steht auf einem Banner in Anspielung auf Artikel 1 des Grundgesetzes. Darin heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ © dpa | Sebastian Kahnert
Der deutsche Rapper Marteria sagte, er fühle sich durch die Vorkommnisse in Chemnitz an die fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen erinnert.
Der deutsche Rapper Marteria sagte, er fühle sich durch die Vorkommnisse in Chemnitz an die fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen erinnert. © dpa | Sebastian Kahnert
Das Motto des Konzerts: Wir sind mehr – mehr als die rechtsgerichteten Teilnehmer, die in Chemnitz nach dem Tod des jungen Mannes auflaufen. Dieses Foto vom 1. September zeigt noch die Teilnehmer der Kundgebung der rechtspopulistischen Bürgerbewegung Pro Chemnitz, die sich vor dem Karl-Marx-Denkmal versammeln.
Das Motto des Konzerts: Wir sind mehr – mehr als die rechtsgerichteten Teilnehmer, die in Chemnitz nach dem Tod des jungen Mannes auflaufen. Dieses Foto vom 1. September zeigt noch die Teilnehmer der Kundgebung der rechtspopulistischen Bürgerbewegung Pro Chemnitz, die sich vor dem Karl-Marx-Denkmal versammeln. © dpa | Boris Roessler
„Weder grau noch braun“: Die Vorfälle in Chemnitz befeuern in Politik und Gesellschaft die Debatte über Ausländerfeindlichkeit und Integration. Auch über die Vorfälle wird scharf diskutiert.
„Weder grau noch braun“: Die Vorfälle in Chemnitz befeuern in Politik und Gesellschaft die Debatte über Ausländerfeindlichkeit und Integration. Auch über die Vorfälle wird scharf diskutiert. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Gab es Hetzjagden – ja oder nein? Die Debatte dazu nimmt schnell Fahrt auf.
Gab es Hetzjagden – ja oder nein? Die Debatte dazu nimmt schnell Fahrt auf. © REUTERS | Matthias Rietschel
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer erklärt, es habe keinen Mob, keine Pogrome oder Hetzjagden in Chemnitz gegeben. Davon hatte zuvor die Bundesregierung gesprochen.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer erklärt, es habe keinen Mob, keine Pogrome oder Hetzjagden in Chemnitz gegeben. Davon hatte zuvor die Bundesregierung gesprochen. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen problematisiert den Begriff „Hetzjagden“ in einem Zeitungsinterview. Ein Video, dass eben jene Jagden auf Ausländer zeige, stellt er in Frage.
Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen problematisiert den Begriff „Hetzjagden“ in einem Zeitungsinterview. Ein Video, dass eben jene Jagden auf Ausländer zeige, stellt er in Frage. © dpa | Kay Nietfeld
Anfang September wird bekannt, dass am 27. August das jüdische Restaurant „Shalom“ in Chemnitz angegriffen wurde.
Anfang September wird bekannt, dass am 27. August das jüdische Restaurant „Shalom“ in Chemnitz angegriffen wurde. © dpa | Hendrik Schmidt
Gut drei Wochen nach der tödlichen Messerattacke kommt einer der beiden inhaftierten Tatverdächtigen auf freien Fuß. Das verkündet sein Anwalt Ulrich Dost-Roxin.
Gut drei Wochen nach der tödlichen Messerattacke kommt einer der beiden inhaftierten Tatverdächtigen auf freien Fuß. Das verkündet sein Anwalt Ulrich Dost-Roxin. © dpa | Hendrik Schmidt
Die SPD fordert nach den Äußerungen Maaßens personelle Konsequenzen. Der Verfassungsschutzchef müsse seinen Posten räumen.
Die SPD fordert nach den Äußerungen Maaßens personelle Konsequenzen. Der Verfassungsschutzchef müsse seinen Posten räumen. © Getty Images | Michele Tantussi
Krisentreffen im Kanzleramt: Am 18. September entscheidet die Koalitionsspitze über die Zukunft von Hans-Georg Maaßen.
Krisentreffen im Kanzleramt: Am 18. September entscheidet die Koalitionsspitze über die Zukunft von Hans-Georg Maaßen. © dpa | Kay Nietfeld
Maaßen muss seine Sachen packen. Der Verfassungsschutzpräsident wird nach seinen umstrittenen Äußerungen zu den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz abgelöst. Doch statt Kündigung erwartet Maaßen der Wechsel ins Bundesinnenministerium als Staatssekretär. Eine Lösung, die bei der Opposition, aber auch in Teilen der SPD scharfe Kritik auslöst.
Maaßen muss seine Sachen packen. Der Verfassungsschutzpräsident wird nach seinen umstrittenen Äußerungen zu den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz abgelöst. Doch statt Kündigung erwartet Maaßen der Wechsel ins Bundesinnenministerium als Staatssekretär. Eine Lösung, die bei der Opposition, aber auch in Teilen der SPD scharfe Kritik auslöst. © picture alliance/dpa | dpa Picture-Alliance / Bernd von Jutrczenka
1/25

Konsequenzen aus „Hetzjagd“-Debatte: Maaßen verlor Job

Am 26. August 2018 war am Rande des Chemnitzer Stadtfestes ein Deutscher erstochen worden. Die Tat hatte rechte Demonstrationen und rassistische Übergriffe ausgelöst. Der Streit um die Frage, ob es dabei „Hetzjagden“ gegeben habe, wurde auch zur Zerreißprobe für die große Koalition aus Union und SPD - und führte letztlich dazu, dass Maaßen seinen Posten verlor.

Hintergrund: Wie sich Chemnitz seit den rechten Krawallen verändert hat

Vergangene Woche wurde ein 24-Jähriger wegen der Messerattacke zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Das Landgericht Chemnitz sprach den Syrer wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung schuldig. Die Verteidiger legten kurz nach der Urteilsverkündung Rechtsmittel ein. (sdo/dpa)