Den Haag. Viele junge Niederländer wissen wenig über die Judenvernichtung oder halten sie sogar für einen Irrglauben. Politiker sind alarmiert.

Es ist ein Schock für viele Niederländer. Fast jeder vierte niederländische Erwachsene unter 40 Jahren bezweifelt den Holocaust: Das ist das Ergebnis einer Studie, die wenige Tage vor dem Internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus veröffentlicht wurde. Er sei „schockiert“, sagte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte zu den Studienergebnissen. „Das ist nicht nur geradezu schockierend, sondern auch sehr ernst“, schrieb Justizministerin Dilan Yeşilgöz über Twitter. Es gebe viel zu tun für die Gesellschaft.

Eine Studie der jüdischen Claims Conference mit Sitz in New York hatte ergeben, dass 23 Prozent der 18- bis 40-jährigen Niederländer den Holocaust für einen Mythos oder für übertrieben halten. Das ganze Ausmaß des Holocaust war mehr als der Hälfte der Befragten unbekannt: So wussten 54 Prozent aller Befragten nicht, dass sechs Millionen Juden ermordet wurden. Insgesamt 29 Prozent glaubten, dass zwei Millionen oder weniger Juden während des Holocaust getötet wurden.

Befragt wurden 2000 Niederländerinnen und Niederländer ab 18 Jahre. Dabei wurden die Ergebnisse der zwischen 1980 und 1994 geborenen Millennials und der seit 1995 geborenen sogenannten Generation Z (Gen Z) gesondert erfasst. Die Claims Conference wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um Ansprüche jüdischer Überlebender gegen Deutschland durchzusetzen und kümmert sich auch heute um Holocaust-Überlebende und ihre Nachkommen.

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Holocaust-Studie: Selbst Wissen über Anne Frank lückenhaft

Die Verbreitung von „Leugnungen und Verzerrungen“ sei größer als in anderen Ländern, "die wir untersucht haben“, erklärte der Präsident der Claims Conference, Greg Schneider. In Großbritannien und Kanada vertraten demnach nur etwa neun Prozent der Befragten die Ansicht, der Holocaust sei eine Erfindung oder übertrieben, in Österreich und Frankreich waren es demnach zehn Prozent.

Das Anne Frank-Haus in Amsterdam ist gut besucht. Dennoch wissen viele Niederländer wenig über die Verfasserin des berühmten Tagebuchs, die im Konzentrationslager ermordet wurde.
Das Anne Frank-Haus in Amsterdam ist gut besucht. Dennoch wissen viele Niederländer wenig über die Verfasserin des berühmten Tagebuchs, die im Konzentrationslager ermordet wurde. © picture alliance / NurPhoto | Paulo Amorim

Auch das grundlegende Wissen zur nationalsozialistischen Judenverfolgung ist laut der Studie lückenhaft. Obwohl es in den Niederlanden mehrere Durchgangslager gab, von denen aus die Juden in Konzentrationslager wie Auschwitz deportiert wurden, konnten 59 Prozent aller Befragten und 71 Prozent der Millennials und der Gen Z kein einziges Durchgangslager im eigenen Land nennen.

Anne Frank, die Verfasserin des weltberühmten Tagebuchs, die mit ihrer Familie während der deutschen Besatzung der Niederlande in einem Versteck in Amsterdam lebte, war zwar 89 Prozent der Befragten vertraut. Doch 32 Prozent der Millennials und 27 Prozent aller befragten Erwachsenen wussten nicht, dass sie in einem Konzentrationslager starb.

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Mit Blick auf die Gegenwart gab es in der Studie ebenfalls beunruhigende Ergebnisse. So hielten es 22 Prozent der Millennials und Gen Z für hinnehmbar, wenn eine Person neonazistische Ansichten unterstützt. In der Gesamtgruppe der Befragten in den Niederlanden lag der Anteil bei zwölf Prozent.

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    „Unsere Niederlande-Studie führt uns eindrücklich vor Augen, dass historische Fakten vor allem unter jungen Erwachsenen keine verbindliche Größe mehr sind“, sagte Rüdiger Mahlo, der Repräsentant der Claims Conference in Deutschland. „Das Wissen über den Holocaust und das Bewusstsein für den Holocaust erodieren in einer Rasanz, die uns aufrüttelt. Unsere schlimmsten Befürchtungen erweisen sich als begründet.“

    Der niederländische Holocaust-Überlebende Max Arpels Lezer erklärte: „Ich bin erschüttert und zutiefst besorgt über die jetzt vorgelegten Ergebnisse. Viele meiner Landsleute kennen nicht einmal ihre eigene nationale Geschichte.“ Er hoffe auf Bildung, damit auch künftige Generationen das ganze Ausmaß des Holocaust verstehen. „Für uns Überlebende ist es von größter Bedeutung, dass die künftigen Generationen unser Zeugnis auch dann weitergeben, wenn wir nicht mehr da sind.“

    Der Wunsch nach Bildung und Information zu dem Thema ist der Umfrage zufolge durchaus vorhanden: Zwei Drittel der niederländischen Befragten und die Mehrheit der niederländischen Millennials und der Generation Z waren der Meinung, dass Holocaust-Erziehung in der Schule obligatorisch sein sollte. Der niederländische Bildungsminister Dennis Wiersma forderte „ein stärkeres Engagement“ in Schulen, damit Schüler „die Fakten über die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs“ erfahren. (dpa/AFP)