Berlin. In Deutschland leben 183.000 Exil-Iraner. Fünf von ihnen erzählen, was sie mit dem Regime erlebt haben – und was sie jetzt tun können.

So viel ist klar: Anahita Sadighi kann erst mal nicht zurück. Nicht mehr in das Land reisen, wo sie geboren wurde, wo sie Farsi lernte, die Sprache ihrer Eltern. Wo sie ihre frühe Kindheit verbrachte, wo ihre Verwandten leben. Das Land, aus dem ihre Eltern ausgewandert sind, in dem sie nicht mehr leben wollen und können, unter dem grausamen Regime, das im Namen Gottes seit Jahrzehnten Angst und Schrecken verbreitet.

Sicherheitskräfte im Iran: „Sie schießen ins Gesicht, in die Genitalien“

Die Galeristin und Künstlerin ist Berlinerin durch und durch – einerseits. Andererseits schlägt ihr Herz für den Iran, die Heimat ihrer Eltern. Für den Mut der Menschen dort, die ihr Leben aufs Spiel setzen. Die der ganzen Welt zeigen: Iran, das ist nicht das Land der verhuschten Frauen mit Hidschab und Mantel. „Iran ist dynamisch, sehr weiblich und sehr progressiv“, sagt die 34-Jährige und rückt die antiken persischen Amphoren zurecht, die sie als Kunstwerk um sich herum aufgebaut hat. 300 Jahre alt sind sie, Butter wurde in ihnen gelagert und andere Milchprodukte. „Sie stehen für Fruchtbarkeit“, beschreibt sie ihre Installation, die sie „Frauen Leben Freiheit“ widmet, der Bewegung im Iran, die viele bereits als Revolution bezeichnen.

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„So ein bestialisches System kann nicht überleben“, sagt Anahita Sadighi mit ernstem und vor allem entschlossenem Blick. „Sie haben keine Skrupel, Kinder zu töten. Sie schießen ins Gesicht, in die Genitalien. Das im Namen von Gott zu legitimieren – ein größeres Verbrechen kann es nicht geben.“

Iraner im Exil: Kritik am Regime, aber Liebe zum Land

Sie verurteilt das Regime – aber sie liebt die Kunst und Kultur des Iran. Eigentlich wollte sie Pianistin werden, doch dann studierte sie in London Islamische Kunst und Architektur. Nun positioniert sie sich öffentlichkeitswirksam mit ihrer Installation, mit ihrer Teilnahme an Solidaritätsveranstaltungen mit persischer Literatur und Performance.

Was sie besonders bewegt: „Bisher lebten die Deutsch-Iraner in ihrer eigenen Bubble, jetzt kommt die Community ganz anders zusammen. Und wenn wir uns zusammentun, können wir Magisches schaffen, viel bewegen, das ist wichtig und schön“. Für sie sei ganz klar: „Entweder bist du solidarisch mit den Menschen im Iran – oder du stärkst das Regime.“

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Soldiarität mit der Protestbewegung im Iran - hier bei einer Demonstration in Berlin.
Soldiarität mit der Protestbewegung im Iran - hier bei einer Demonstration in Berlin. © Getty Images | Omer Messinger

Mit dieser Entschlossenheit steht die Galeristin nicht allein. In keinem anderen europäischen Land ist die iranische Gemeinschaft so groß wie in Deutschland, wo 300.000 Exil-Iraner leben. 183.000 davon mit deutschem Pass, so die Daten des Statistischen Bundesamtes. Das sind 300.000 Menschen, von denen der Großteil eine bewegende Geschichte mitbringt, weil Terror, Gewalt und großes Leid hinter ihnen liegen. Teilnahmslos die Protestbewegung verfolgen – das kommt für viele von ihnen nicht infrage.

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Ob in Freiburg, München, Düsseldorf, Hamburg, Berlin oder Erfurt: Bundesweit positionieren sich Exil-Iraner mit ihrer klaren Haltung, organisieren Demonstrationen, Lesungen, Kulturveranstaltungen. Mal sind es kleinere Proteste, mal ist es eine Massendemonstration wie vor einigen Wochen in Berlin, als 50.000 Menschen teilnahmen.

Deutsch-Iraner: Gut ausgebildet, in renommierten Berufen

Viele Exil-Iraner haben Einfluss auf Politik und Gesellschaft in Deutschland, engagieren sich in Verbänden, nutzen ihre berufliche Stellung für die Öffentlichkeit. Verglichen mit anderen Migrantengruppen – und auch verglichen mit der deutschen Bevölkerung – ist der soziale Standard der iranischen Gemeinschaft in Deutschland hoch: Mehr als 50 Prozent haben mindestens einen Bachelor-Abschluss, fand das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2014 heraus. Und jeder Vierte arbeitet in einem sogenannten Vertrauensberuf, also als Arzt oder Ärztin, als Bankangestellter, Pädagogin, Ingenieur oder Juristin. Persönlichkeiten mit iranischem Hintergrund finden sich in den Universitäten, im Kunst- und Kulturbetrieb, in der Politik.

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Pedram Emami ist Präsident der Ärztekammer Hamburg, er floh als Teenager vor den Mullahs.
Pedram Emami ist Präsident der Ärztekammer Hamburg, er floh als Teenager vor den Mullahs. © picture alliance | gbrci/Geisler-Fotopress

Ein Beispiel dafür ist Pedram Emami (52), Neurochirurg am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Präsident der Ärztekammer Hamburg. Zu seinem Namen gehört der Doktortitel und der Management-Abschluss MBA. 1984 floh er als Teenager mit seinen Eltern vor den Mullahs – und vor dem Iran-Irak-Krieg. Es war die Zeit, als alle Jungen ab zwölf Jahren für die Front einzogen wurden – oft genug wurden sie dann als Kinder-Kamikaze verheizt, also als Selbstmordattentäter.

Was derzeit auf den Straßen Irans stattfinde, sei eine echte Revolution. „Menschen emanzipieren sich von ihrer Religion, von ethnischen Fragen“, sagt Emami. „Jahrzehntelang haben die Menschen aus Angst ihre Kunst, ihre Kultur, ihren Freiheitsdrang ins Private verlagert. Nun kehren sie alles nach außen, bringen es auf die Straße.“

Mullah-Regime: Ärzten drohen Strafen, wenn sie Demonstranten versorgen

Durch sein gesellschaftliches Engagement in der Ärztekammer ist er eine öffentliche Person über Hamburg hinaus – und das nutzt er, um seine klare Haltung gegenüber dem Mullah-Regime zu verbreiten – sei es bei einer Gesprächsrunde mit Hamburger Grünen und anderen Exil-Iranern, sei es bei Demonstrationen. „Das gehört längst zum familiären Leben dazu“, sagt der zweifache Vater.

Obendrein schließt er sich mit anderen iranischstämmigen Ärzten, Apothekerinnen und Zahnärzten zusammen, um gegen die Gewalt im Iran zu protestieren – und gegen die Unterdrückung der Medizinier im Land. „Wenn meine Kollegen vor Ort Verletzten helfen, wird das als Unterstützung von Protesten aufgefasst“, sagt Emami, „der hippokratische Eid spielt für die Mullahs, die sich auf ihre religiöse Überzeugung berufen, keine Rolle. Was für ein schräges Menschenbild.“

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Unzählige Kolleginnen und Kollegen seien bereits bei den Protesten verletzt worden, darunter auch junge Medizinstudenten, heißt es in dem Brief der iranischstämmigen Mediziner an die Bundesärztekammer. Eine Ärztin sei ermordet worden. Mediziner seien nicht nur daran gehindert worden, Gewaltopfer zu behandeln. Sie würden obendrein genötigt, Diagnosen und Todesursachen von Demonstranten zu verschleiern. Dabei verpflichten sich Mediziner mit dem Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes, ihr medizinisches Wissen nicht im Rahmen von Menschenrechtsverletzungen anzuwenden. Der Präsident der Bundesärztekammer reagierte prompt – und wandte sich direkt an den iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi, forderte von ihm die Garantie, dass Mediziner im Iran frei und sicher ihren Beruf ausüben können.

Exil-Iranerin: Sie brachte ihre Tochter im Gefängnis zur Welt

Die Frankfurter Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Bündnis 90/Die Grünen) saß in Teheran in Haft.
Die Frankfurter Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Bündnis 90/Die Grünen) saß in Teheran in Haft. © picture alliance/dpa | Frank Rumpenhorst

Auch Nargess Eskandari-Grünberg macht dieses verachtende Menschenbild des Mullah-Regimes fassungslos. Die Frankfurter Bürgermeisterin und Grünen-Politikerin verbindet damit eine scharfe Forderung an Deutschland und die Europäische Union: Alle Konsulate müssten geschlossen, alle diplomatischen Beziehungen mit dem Iran müssten abgebrochen werden. Deutschland und die EU sollten das solidarische Bekenntnis ablegen, dass es sich um ein Verbrecher-Regime handelt, mit dem es keinerlei politische Beziehung geben dürfe – „und damit auch keinen Atom-Deal“. Der Iran müsse komplett isoliert werden. „Wer so gegen Menschenrechte verstößt, mit dem ist kein Dialog möglich“, so die 57-Jährige.

Dass die Grünen-Politikerin so klare Forderungen stellt, liegt wohl auch in ihrer Biografie begründet. Die Deutsch-Iranerin floh 1985 nach Deutschland – mit ihrer kleinen Tochter, die die damals 20-Jährige als politische Gefangene im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis zur Welt gebracht hatte. „Ich hatte nur Flugblätter verteilt“, sagt Eskandari-Grünberg. In Deutschland studierte sie Psychologie und promovierte, ließ sich als Psychotherapeutin mit eigener Praxis nieder, beim Deutschen Roten Kreuz berät sie ältere Migranten und Migrantinnen.

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Die Protestbewegung löst bei ihr starke Gefühle aus. „Ich bin traurig, wütend und hoffnungsfroh“, sagt sie. Traurig, weil es sie an die Proteste erinnere, an denen sie als junge Frau teilnahm – und die dann doch niedergeschlagen wurden. „Aber es macht mich stolz und hoffnungsfroh, dass die Menschen so mutig und engagiert auf die Straße gehen.“ Gleichzeitig sei sie „wütend über die Ermordungen und Hinrichtungen“, sagt sie und verweist auf die offiziell 18.000 Gefangenen und 600 Toten, von denen 76 minderjährig seien.

Gastronom mit iranischen Wurzeln: „Mullahs sind schlimmer als Taliban“

Die vielen toten Kinder sind es auch, die Shahryar Fahimi (51) umtreiben. Für ihn sind die Mullahs schlimmer als die Taliban. Die würden schließlich nicht einfach Minderjährige auf der Straße erschießen. Ein freilich schwieriger Vergleich, der doch zugleich die Fassungslosigkeit des Essener Gastronomen zum Ausdruck bringt. In seinem persischen Restaurant- und Catering-Betrieb veranstaltet er Aktionstage für iranische Frauen, die kostenlos bei ihm essen dürfen. Seine zehn Mitarbeiter tragen T-Shirts mit dem Aufdruck „Frauen, Leben, Freiheit“. Er selbst floh 1984 mit seinen Eltern und seiner ein Jahr älteren Schwester als Zwölfjähriger vor dem Iran-Irak-Krieg und den Mullahs, so wie der Hamburger Arzt Pedram Emami.

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Mit dem Iran seiner Kindheit verbinde Shahryar Fahimi Angst und Schrecken, sagt er – und hält inne. Dann erzählt er, wie seine Mutter, als er acht Jahre alt war, vor seinen Augen abgeführt worden sei, weil sie offene Sandalen trug, als sie ihn zur Schule brachte. Der Vater habe sie aus dem Gefängnis herauskaufen müssen. Natürlich fühle er „so viel Hass“, wenn er an die Mullahs denke. Seinen Mitarbeitern gehe es auch so. „Das sind alles Perser. Die haben alle ihre Geschichte.“

Was ihn bei der Protestbewegung besonders bewegt: Jahrzehntelang hätten die Mullahs im Vielvölkerstaat Iran Kurden, Perser, Araber, Muslime gegen Christen und Juden aufgehetzt. „Jetzt haben die Iraner über alle Schichten, Religionen und ethnischen Zugehörigkeiten ein Ziel: Sie wollen dieses Regime nicht mehr. Deshalb wird es so kommen.“

Iranerin verspricht ihrem Sohn: „Es wird nie mehr sein wie früher“

Atrin Haghdoust ist in Deutschland geboren, seine Eltern kommen aus dem Iran.
Atrin Haghdoust ist in Deutschland geboren, seine Eltern kommen aus dem Iran. © Privat | Privat

Diesen Optimismus teilt er mit dem jungen Schauspieler Atrin Haghdoust (24), der gerade dabei ist, sein Studium an der renommierten Folkwang-Schule in Essen zu beenden. Er ist in Deutschland geboren und in der baden-württembergischen Kleinstadt Bruchsal aufgewachsen. Sein Vater floh Ende der 1980er-Jahre, die Mutter Ende der 1990er-Jahre. „Beide konnten und wollten unter den Mullahs nicht mehr leben“, sagt er. Deutsch habe er erst im Kindergarten gelernt, es ist die Sprache, mit der er Öffentlichkeit verbindet. „Ich kenne die iranische Kultur und Sprache nur aus dem privaten Kontext“, sagt er. Jetzt, bei den Aktionen in Essen, die er mit organisiere, sei alles auf Farsi, „ich bekam zunächst ein ganz mulmiges Gefühl, war sehr bewegt“.

Doch diese Öffentlichkeit sei es, die ihn nun so hoffnungsfroh mache. „Dabei war ich immer pessimistisch, was die Zukunft des Iran angeht. Aber meine Mutter hat gesagt, ‚Atrin, egal was passiert, es wird nie mehr sein wie früher.‘“ Natürlich habe er Angst, wenn er sich nun öffentlich für ein freies, demokratisches Iran einsetzt. Er kennt Berichte, wonach krebskranken Angehörigen im Iran die Chemotherapie verweigert werde, wenn ein Verwandter in Deutschland mit seinem Namen protestiere. „Aber ich habe keine Wahl, ich will mich nicht Schauspieler nennen, wenn ich meiner Verantwortung nicht nachgehe. Der Name Atrin, sagt er, bedeute: Das Kind, das aus dem Feuer gemacht wurde. „Und die Kunst zu brennen, die versuche ich zu behalten“.