Riad/Sanaa. Offiziell sind im Jemen noch keine Coronavirus-Fälle gemeldet. Nun will Saudi-Arabien dort überraschend die Waffen schweigen lassen, um der Pandemie entgegenzuwirken. Tatsächlich könnte das Virus für Riad ein Ausweg aus dem Krieg bedeuten, der sich kaum noch gewinnen lässt.

Lichtblick inmitten der Corona-Krise: Im Jemen hat das von Saudi-Arabien angeführte Militärbündnis überraschend eine zweiwöchige Waffenruhe angekündigt und damit womöglich die Voraussetzung für einen Ausweg aus dem brutalen Bürgerkrieg geschaffen.

Die seit Donnerstag geltende - nach UN-Angaben einseitige - Waffenruhe könne verlängert werden, um den Weg zu Gesprächen mit den verfeindeten Huthi-Rebellen zu ebnen, teilte Bündnissprecher Turki al-Malki der staatlichen Nachrichtenagentur SPA zufolge mit. Ziel sei auch, die Ausbreitung des Coronavirus in dem völlig verarmten Land zu verhindern.

Der Bürgerkrieg im Jemen tobt seit Ende 2014, als die vom Iran unterstützten Huthi-Milizen das Land überrannten. Sie brachten weite Teile des Nordwestens unter ihre Kontrolle und vertrieben die international anerkannte Regierung von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi aus der Hauptstadt Sanaa.

Als sie drohten, auch die strategisch wichtige Hafenstadt Aden im Süden einzunehmen, trat Saudi-Arabien mit Verbündeten in den Krieg ein. Das Bündnis bombardiert seit März 2015 Stellungen der Huthis. Die humanitäre Lage ist katastrophal: Mehr als 80 Prozent der etwa 30 Millionen Einwohner sind auf Hilfe angewiesen.

Die Ankündigung, die Waffen von Donnerstag an vorerst schweigen zu lassen, weckt leise Hoffnungen auf eine mögliche Entschärfung des Konflikts. Seit Ende 2014 sind durch die Gewalt schätzungsweise 112.000 Menschen ums Leben gekommen, darunter 12.600 Zivilisten bei gezielten Angriffen. Den letzten großen Fortschritt gab es im Dezember 2018 in Stockholm. Das dort geschlossene Abkommen unter UN-Vermittlung - darunter eine Waffenruhe für die wichtige Hafenstadt Hudaida - wurde bisher allerdings nicht vollständig umgesetzt.

UN-Generalsekretär António Guterres und sein Sondervermittler Martin Griffiths begrüßten die Ankündigung. Griffiths sprach von einer "einseitigen Waffenruhe für alle Boden-, See- und Lufteinsätze". Er sei dankbar, dass Saudi-Arabien und dessen Verbündete "diesen für den Jemen kritischen Moment erkannt" hätten. Griffiths bemüht sich als UN-Vermittler seit mehr als zwei Jahren um eine Lösung des Konflikts.

Auch die EU zeigte sich erfreut. Beide Seiten müssten nun alle Kampfhandlungen einstellen und in guter Absicht Gespräche miteinander führen, forderte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Dies sei die einmalige Gelegenheit, über Möglichkeiten zur Beendigung des Konflikts zu beraten.

Auch das Auswärtige Amt in Berlin begrüßte die einseitige Waffenruhe. Deutschland appelliere "an die Huthis und die jemenitische Regierung, sich der Ankündigung der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition anzuschließen und ebenfalls unverzüglich alle Kampfhandlungen einzustellen", erklärte eine Sprecherin. "Wir rufen alle Akteure im Jemen-Konflikt dazu auf, angesichts der Corona-Pandemie gemeinsam und über militärische und politische Gräben hinweg daran zu arbeiten, die Pandemie einzudämmen und sicherzustellen, dass die bereits jetzt notleidende Bevölkerung Hilfe erhält", fügte die Sprecherin hinzu. Deutschland werde seine Unterstützung für die Menschen in Jemen weiter ausbauen.

Die Blicke richteten sich nach der Ankündigung auf die Huthis, ob auch sie die Kämpfe aussetzen würden. Am Donnerstag gab es nach Berichten von Augenzeugen zunächst keine Gefechte an den verschiedenen Fronten des Landes. Der Rebellen-nahe Fernsehsender Al-Masirah berichtete dagegen, dass Kampfjets der saudischen Allianz trotz der Ankündigung Stellungen der Huthis bombardiert hätten. Angaben zu möglichen Opfern macht der Sender dabei nicht.

Die Kämpfe hatten sich Ende 2019 beruhigt, das Land erlebte Beobachtern zufolge eine der vergleichsweise ruhigsten Phasen seit Kriegsbeginn. Mit einem Raketenangriff auf ein Militärlager in der Provinz Marib östlich von Sanaa, bei dem mehr als 100 Regierungssoldaten getötet wurden, flammten die Kämpfe Mitte Januar wieder auf.

Am Mittwoch hatte Huthi-Sprecher Mohammed Abdusalam erklärt, dass die Huthis den Vereinten Nationen ihre eigenen Vorstellungen zu einem "umfassenden Kriegsende und einem Ende der Blockade" mitgeteilt hätten. Dieser Plan "garantiert die Sicherheit, Unversehrtheit und Unabhängigkeit des Jemens und legt den Grundstein für einen politischen Dialog und eine neue Übergangsphase", schrieb Abdusalam.

Die Huthi-Rebellen ("Ansar Allah") und ihre Verbündeten sind im Jemen nach Einschätzung von Experten heute so stark und gut organisiert wie seit Jahren nicht mehr. Sie haben ihr Waffenarsenal schrittweise modernisiert und greifen mit Drohnen und Raketen regelmäßig Ziele im benachbarten Saudi-Arabien an. Die Kämpfe vorerst auszusetzen wäre ein großes Zugeständnis der schiitischen Rebellen.

Ziel der Waffenruhe ist nach Angaben aus Riad auch, eine Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern - nach einem entsprechenden Aufruf von UN-Chef Guterres. Im Jemen wurden bisher offiziell keine Infektionen mit Sars-CoV-2 gemeldet. Ein Ausbruch könnte aber verheerende Folgen haben: Die medizinische Versorgung im Jemen ist sehr schlecht. Rund 3900 Menschen sind dort bereits an den Folgen der eigentlich heilbaren Infektionskrankheit Cholera gestorben. Nur etwa die Hälfte der Gesundheitszentren im Jemen ist voll einsatzfähig.

Für Saudi-Arabien, das selbst schwer vom Coronavirus betroffen ist, könnte die Pandemie einen Ausweg aus einem Krieg aufzeigen, der sich militärisch kaum noch gewinnen lässt. Das Image des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman hat durch die kostspielige Offensive im Nachbarland international stark gelitten. Und das Militärbündnis, darunter auch die Vereinigten Arabischen Emirate, ist brüchig.

Die Huthis müssten "endlich guten Willen beweisen", twitterte der saudische Vize-Verteidigungsminister Chalid bin Salman. Ihm zufolge will das Königreich den UN 500 Millionen US-Dollar für humanitäre Hilfen im Jemen spenden und weitere 25 Millionen US-Dollar für den Kampf gegen das Virus im Jemen. Die Waffenruhe werde hoffentlich ein "günstiges Klima" für eine "dauerhafte politische Lösung" schaffen.