Berlin/Kiew. Schon früh hat Frank-Walter Steinmeier angekündigt, noch einmal als Bundespräsident antreten zu wollen. Womöglich auch, um das Amt aus dem Koalitionsgeschacher rauszuhalten.

Während man in Berlin darum ringt, wer die nächste Regierung bildet, ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterwegs.

Ein paar Tage in die Republik Moldau, dann in die Ukraine. Die Themen ernst, der Präsident unbeeindruckt und scheinbar unbeeinflusst vom Balztanz der Parteien nach der Bundestagswahl. Das Amt des Bundespräsidenten ist überparteilich, deshalb lässt der frühere SPD-Kanzlerkandidat sein Parteibuch seit Jahren ruhen. Doch die Besetzung des Amtes ist häufig alles andere als überparteilich. Könnte das höchste Staatsamt zur Verhandlungsmasse werden in den Koalitionsgesprächen zu einer Ampel- oder weiter nicht ausgeschlossenen Jamaika-Regierung?

Im Februar 2022 wird ein neuer Bundespräsident gewählt. Der von der SPD vorgeschlagene und bisher von CDU/CSU wie FDP unterstützte Steinmeier hat bereits früh gesagt, dass er noch einmal antreten würde - zu einem Zeitpunkt, als noch fast alle dachten, die SPD würde bei der Bundestagswahl abgeschlagen hinter der Union landen. Für den heute 65-Jährigen schien der Schritt riskant, denn es war nicht abzusehen, wie sich die Bundesversammlung zusammensetzen würde, in der Bundestagsabgeordnete und Vertreter der Länder darüber bestimmen, wer Hausherr im Schloss Bellevue wird.

Das hohe Amt aus dem politischen Kleinklein heraushalten

"Ich weiß, dass ich nicht von vornherein auf eine Mehrheit in der Bundesversammlung bauen kann. Aber ich trete nicht aus Bequemlichkeit an, sondern aus Überzeugung", sagte Steinmeier damals. Seine Mission: die Wunden der Corona-Krise heilen helfen und die unter Druck geratene Demokratie stützen. Zugleich wurde analysiert, mit seiner frühen Ankündigung wolle der Bundespräsident das hohe Amt aus dem politischen Kleinklein des Koalitionspokers heraushalten.

Inzwischen aber hält sich im politischen Berlin seit einiger Zeit das Gerücht, ein künftiger Kanzler - nach derzeitigem Stand Olaf Scholz (SPD) oder eventuell doch noch Armin Laschet (CDU) - könnte das Amt in den Koalitionsverhandlungen als Lockmittel nutzen, um FDP oder Grüne in ein Bündnis zu kriegen. Es könnte mit auf den Tisch kommen, wenn es um die Besetzung des Finanzministeriums, des Außenministeriums oder anderer mächtiger Häuser geht.

In der Bundesversammlung hätten nach Berechnungen von des Internetportals election.de sowohl eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP als auch eine Ampel mit SPD, Grünen und FDP eine deutliche Mehrheit - die neuen Regierungsparteien könnten im Grunde unter sich ausmachen, wer zum Bundespräsidenten gewählt wird.

Öffentlich warf SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil CDU und CSU schon im Wahlkampf vor, sie wollten "das Amt des Bundespräsidenten verschachern, um ihre Macht zu sichern". "Was für ein Demokratieverständnis", regte er sich auf. Doch auch SPD-Kanzlerkandidat Scholz könnte in die ungemütliche Lage kommen, den ehemaligen Parteifreund Steinmeier im Koalitionspoker opfern zu müssen.

Denn würde Scholz Kanzler, wären drei der mächtigsten Ämter in der Bundesrepublik allesamt in SPD-Hand: ein sozialdemokratischer Regierungschef, ein von den Sozialdemokraten vorgeschlagener Bundespräsident, ein sozialdemokratischer Bundestagspräsident. Für eine Partei mit 25-Prozent-Wahlergebnis könnte das zu viel sein. Außerdem auffällig: Sollte die SPD keine Bundestagspräsidentin finden, wäre keiner der wichtigen Posten mit einer Frau besetzt.

Vor allem weibliche Namen werden daher genannt, wenn über Steinmeiers Nachfolge spekuliert wird: allen voran Katrin Göring-Eckardt, die Fraktionschefin der Grünen und früher Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) - sie wäre nicht nur die erste Frau, sondern auch die erste Grüne im höchsten Staatsamt.

In der Bevölkerung käme ein Koalitionsdeal auf Kosten des Bundespräsidenten allerdings nicht gut an. Eine große Mehrheit von 70 Prozent wünscht sich einer Forsa-Umfrage für das Redaktionsnetzwerk Deutschland zufolge eine zweite Amtszeit für Steinmeier. Sogar 85 Prozent sind dagegen, dass seine Wiederwahl Gegenstand des Koalitionspokers wird. Auch Altkanzler Gerhard Schröder wandte sich in seinem Podcast zuletzt dagegen, die Wahl des Bundespräsidenten in Koalitionsgesprächen zur Verhandlungsmasse zu machen.

Und FDP und Grüne selbst? Wenig überraschend hat bisher keine der Parteien Ambitionen auf das Amt angemeldet. Die FDP unterstützte Steinmeier, als dieser seinen Hut für die zweite Amtszeit in den Ring warf. Die Grünen werden sich kaum vorwerfen lassen wollen, das Bundespräsidentenamt in einem Kompromiss eingetauscht und dafür etwa ihre Klimaschutz-Prinzipien aufgeweicht zu haben.

Auch auf Steinmeier selbst könnte im Ringen um die neue Regierung noch eine wichtige Aufgabe zukommen: Nach der vergangenen Bundestagswahl wäre ohne sein Eingreifen schließlich wohl gar keine Koalition zustande gekommen.

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