Berlin. Straßen-Blockaden, Klebe-Attacken auf Kunstwerke. Aktionen der „Letzten Generation“ sind umstritten. Radikalisiert sich die Bewegung?

Der Vorfall ruft auch den Bundeskanzler auf den Plan. Politische Kundgebungen dürften „nicht zur Gefährdung anderer“ beitragen, sagt Olaf Scholz. Am Montag blockierten die Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“ erneut eine Straße in Berlin. Mit Folgen: Ein Rettungswagen stand in dem Stau, kam mit Verzögerung zu einem Unfall, bei dem eine Radfahrerin schwer verletzt worden war.

Die Gewerkschaft der Polizei spricht „vom Märchen des harmlosen Protests“. Die Gruppe selbst zeigte sich in einem Statement bestürzt, wolle die „Sicherheit aller teilnehmenden Menschen“ gewährleisten.

Die Polizei ermittelt nun gegen einen 59 und einen 63 Jahre alten Aktivisten wegen „unterlassener Hilfeleistung“ und „Behinderung von hilfeleistenden Personen“. Der Fall wirft Fragen auf, wer hinter dieser Bewegung steckt. Und wie weit Protest gehen darf.

Wer ist die „Letzte Generation“?

Die Gruppe macht erst seit 2021 auf sich aufmerksam, mit einem Hungerstreik im Berliner Regierungsviertel. Seit diesem Jahr mehren sich Blockaden von Straßen, vor allem in Berlin, aber auch anderen Großstädten.

Zuletzt fiel die „Letzte Generation“ damit auf, dass Aktivistinnen und Aktivisten die Glasscheibe von berühmten Kunstwerken in Museen mit Flüssigkeit und Essensresten übergossen und sich selbst daneben an die Wand oder an die Glasscheibe selbst festklebten. Allein in diesem Jahr sollen insgesamt fast 400 Aktionen in Deutschland auf das Konto der Gruppe geben.

Mitglieder der Klimaschutz-Protestgruppe „Letzte Generation“ haben das Gemälde „Getreideschober“ (1890) von Claude Monet im Potsdamer Museum Barberini mit Kartoffelbrei beworfen und sich im Museum festgeklebt.
Mitglieder der Klimaschutz-Protestgruppe „Letzte Generation“ haben das Gemälde „Getreideschober“ (1890) von Claude Monet im Potsdamer Museum Barberini mit Kartoffelbrei beworfen und sich im Museum festgeklebt. © dpa | Uncredited

Wie stark die Bewegung vor Ort ist, lässt sich schwer schätzen. An Blockade-Aktionen nehmen selten mehr als zehn Personen teil, oftmals junge Menschen, aber auch Ältere bis hin zum Rentenalter. Nach eigenen Angaben zählen Lehrerinnen und Tierärzte genauso zum Bündnis wie Tätowierer und Ex-Bahn-Mitarbeiter.

Die Organisation fordert unter anderem ein Tempolimit bei 100 km/h und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket. Vor allem ist die Bewegung international vernetzt, auch in Großbritannien, Schweden, Frankreich und etwa USA aktiv.

Umwelt und Klimawandel: Warum kleben sich die Aktivisten an Kunstwerken fest?

Vor einigen Tagen übergossen Mitglieder der Gruppe ein Monet-Gemälde im Potsdamer Barberini-Museum mit Kartoffelbrei. Die Gruppe rechtfertigt die Aktion damit, dass Menschen sich stärker über Kartoffelbrei auf einer Leinwand aufregen würden als über die reale Zerstörung der Natur.

Das Ziel: Aufmerksamkeit. Die Aktivisten verbreiten die Aktionen über die sozialen Netzwerke. Doch sie ernten starke Kritik – auch aus der Kulturszene, etwa von der Grünen-Staatsministerin Claudia Roth.

Lesen Sie auch: Klima-Aktivisten attackieren „Mädchen mit dem Perlenohrring“

Der rechtspolitische Sprecher der Union, Günter Krings, sagt unserer Redaktion: „Die Aktionen, sich an Kunstwerken festzukleben und sie mit Essen zu überschütten, werden auch politisch dem Ernst der Lage in der Klimapolitik nicht gerecht.“

Zuspruch bekommen die umstrittenen Klimaschützer jedoch auch. Sie „kämpfen letztlich für eines der höchsten Ziele im Rechtsstaat: die Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, speziell des Klimaurteils“, sagt der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Helge Limburg, unserer Redaktion.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Welche Strafen drohen?

Inzwischen laufen bei der Berliner Staatsanwaltschaft mehr als 700 Ermittlungsverfahren, oftmals werden einer Person mehrere mutmaßliche Taten vorgehalten. Gerichte verhängten aufgrund der Straßenblockaden bisher einzelne Geldstrafen wegen Nötigung.

Die Aktivisten berufen sich auf das Recht auf „zivilen Ungehorsam“. 2011 hatte das Bundesverfassungsgericht erklärt, dass auch Sitzblockaden von der Versammlungsfreiheit gedeckt sind. Die Rechtslage hierzu ist jedoch komplex – eine genaue Abwägung zwischen legitimen Aktionen zum Klimaschutz und unverhältnismäßig gefährlichen Eingriffen in den Straßenverkehr und Nötigung der Autofahrer.

Im Fall des beschmierten Monet ermittelt die Polizei wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch. Auch dort ist die Rechtslage nicht eindeutig, die Meinungen gehen ebenfalls auseinander.

CDU-Politiker Krings sagt: „Die Grenzen des Protests bildet das Strafrecht. Es kann keinen rechtlichen Rabatt geben, weil der Zweck der Aktionen gut ist.“ Grünen-Rechtsexperte Limburg kontert: „Natürlich rechtfertigt der Zweck nicht alle Mittel, aber man sollte bei der Bewertung der Aktionen auch mal die Kirche im Dorf lassen.“

Radikalisiert sich die Umweltbewegung?

Die Aktionsform der Umweltbewegung sind radikaler geworden, die Parolen drastischer, das Spektrum radikaler Klimaschützer größer. Neben der „Letzten Generation“ formierte sich die sogenannte „Extinction Rebellion“, die ebenfalls auf Blockaden und zivilen Ungehorsam setzt.

Sie wenden sich weniger gegen die „Demokratie“, oftmals aber gegen das „kapitalistische System“ und die Wirtschaftsordnung als vermeintlicher Klimasünder. Ein Unterstützer der „Letzten Generation“ soll in einem Interview auch Sabotageakte etwa von klimaschädlicher Infrastruktur ins Spiel gebracht haben.

Mehrere Verfassungsschutzämter stufen etwa die Gruppe „Ende Gelände“ als extremistisch ein. Bei Protesten soll es auch gegen Gewaltaktionen gegen Polizisten gekommen sein. Die Aktivisten werfen der Polizei dagegen in einigen Fällen vor, unverhältnismäßig stark gegen die Protestbewegung vorzugehen.

Eine Gefährdung von Menschen will die „Letzte Generation“ verhindern. Dass das nicht immer gelingt, zeigt der aktuelle Fall in Berlin.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de