Berlin. Wie kann der Bundestag noch Gesetze beschließen, wenn viele Abgeordnete Corona-bedingt nicht kommen können? Parlamentspräsident Schäuble kann sich zwei Lösungen vorstellen. Für beide müsste aber das Grundgesetz geändert werden. Das stößt auf starken Widerstand.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) stößt mit Überlegungen für eine Grundgesetzänderung, die das Parlament in der Corona-Krise handlungsfähig halten soll, auf Ablehnung bei den Fraktionen.

"Krisen sind für Verfassungsänderungen kein guter Ratgeber", sagte der FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzende Christian Lindner der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Solche Vorschläge sollte man in ruhigeren Zeiten besprechen." Ähnlich argumentierte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch, der der "Süddeutschen Zeitung" sagte: "In Krisenzeiten das Grundgesetz verändern zu wollen, verbietet sich - die Linke wird das nicht unterstützen."

Schäuble hatte der "Süddeutschen Zeitung" zuvor gesagt: "Wir müssen alles daransetzen, die parlamentarische Demokratie nicht außer Kraft zu setzen." Dazu seien jetzt alle Überlegungen erwünscht. "Nur keine Überlegungen anzustellen wäre falsch." Schäuble schrieb alle Fraktionsvorsitzenden an, um über die Möglichkeit von virtuellen Bundestagssitzungen oder das Schaffen eines Notparlaments zu reden. Für ein solches kleines Parlament wäre eine Grundgesetzänderung nötig. Der Zeitung zufolge hält der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags dies auch für virtuelle Sitzungen für erforderlich.

Schäuble (CDU) sorgt sich um die Handlungsfähigkeit des Bundestags, auch wenn dieser soeben die Grenze für seine Beschlussfähigkeit stark gesenkt hat. Diese ist jetzt schon gegeben, wenn mehr als ein Viertel der Abgeordneten anwesend ist. Vorher war mehr als die Hälfte nötig. Es geht im Kern um die Frage, wie der Bundestag noch arbeiten und Gesetze beschließen kann, wenn womöglich einmal zu viele Abgeordnete in Quarantäne sind.

Lindner sagte der dpa: "Wir sehen aktuell keinen Anlass, die Rolle des Deutschen Bundestags als erste Gewalt, Volksvertretung und Kontrolle der Regierung einzuschränken." Das Verfassungsorgan Bundestag habe sich gerade erst bei seiner Sitzung im März durch schnelle und am Konsens orientierte Beschlüsse ausgezeichnet. "Trotz häuslicher Quarantäne vieler Kollegen waren wir voll handlungsfähig und Mehrheiten gesichert." Auch Bartsch sagte, das Parlament sei handlungsfähig.

Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Britta Haßelmann, zeigte sich in der "Süddeutschen Zeitung" ebenfalls "irritiert" über den erneuten Vorstoß für eine Verfassungsänderung. "Krisenzeiten sind nicht die Zeit, so etwas Weitreichendes mal kurzerhand auf den Weg bringen zu wollen."

Auch Vertreter der großen Koalition wiesen die Überlegungen zurück. Die Fraktionen seien sich einig, "dass wir jetzt keine Grundgesetzänderung durchführen", sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Sein SPD-Kollege Carsten Schneider sagte dem RND: "Wir sind arbeits- und beschlussfähig. Auf die Schnelle mache ich so einen Eingriff in das Verfassungsgefüge nicht mit."

Ein Notparlament kennt das Grundgesetz nur für den Verteidigungsfall. Vorgesehen ist in Artikel 53a ein "Gemeinsamer Ausschuss" aus 48 Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat, wenn das Parlament nicht rechtzeitig zusammentreten kann. Davon sind zwei Drittel Abgeordnete des Bundestags und ein Drittel Mitglieder des Bundesrats.