Moskau. Der Mord an Boris Nemzow, einem der wichtigsten Oppositionellen in Moskau, schockierte vor fünf Jahren ganz Russland. Fünf Männer sitzen für den Mord hinter Gittern. Doch für Nemzows Tochter ist der Fall ganz und gar nicht abgeschlossen.

Fünf Jahre nach dem Mord an dem Kremlkritiker Boris Nemzow geht seine Familie nicht davon aus, dass der Fall bald vollständig aufgeklärt wird.

Weder das Tatmotiv noch die Drahtzieher des Mordes seien ermittelt, sagte seine Tochter Schanna Nemzowa der Deutschen Presse-Agentur. "Für mich steht außer Frage, dass es ein politisch motivierter Mord war." Doch um das aufzuklären, müssten die Ermittler ihre Arbeit in einem weiteren Verfahren verstärken. Das sei zum jetzigen Zeitpunkt aber sehr unwahrscheinlich. "Hier gibt es überhaupt keine Bewegung", sagte die 35 Jahre alte Journalistin.

Nemzow galt als liberaler Reformer und war in den 1990er Jahren Vize-Regierungschef. Später wurde er zur schillernden Galionsfigur der russischen Opposition und war ein erbitterter Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin. Am 27. Februar 2015 wurde er in der Nacht in unmittelbarer Nähe zum Kreml durch mehrere Schüsse in den Rücken ermordet. Viele gehen davon aus, dass der Drahtzieher bei Ramsan Kadyrow, dem brutalen Machthaber der Teilrepublik Tschetschenien, zu finden ist. Nemzowa glaubt aber auch, dass Putin zumindest das politische Klima für so eine Tat geschaffen habe.

Kurz nach dem Verbrechen wurden ein Mann mit Verbindungen nach Tschetschenien als Täter und vier weitere als Helfer ausfindig gemacht und 2017 zu langen Haftstrafen verurteilt. Ein mutmaßlicher Auftraggeber des Mordes ist seit 2015 international zur Fahndung ausgeschrieben. Nemzowa selbst reiste bereits wenige Monate nach dem Mord an ihrem Vater aus Sicherheitsgründen aus - nach Deutschland. Als Journalistin arbeitete sie bis Anfang dieses Jahres bei dem TV-Sender Deutsche Welle in Bonn, jetzt wolle sie aber vermehrt für die "Boris Nemzow Stiftung für die Freiheit" aktiv sein. Eine berufliche Zukunft sehe sie in der Heimat nicht mehr, sagte sie.

Erst in der vergangenen Woche hatte eine Vertreterin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Moskau aufgefordert, den Fall genauer zu untersuchen. Behörden hätten sich geweigert, Aufnahmen von Überwachungskameras freizugeben oder Zeugen zu möglichen Drahtziehern zu befragen. Das Außenministerium habe zudem der OSZE den Zugang zu Materialien verweigert, weil "diese Informationen Staatsgeheimnisse enthalten könnten", schrieb die kremlkritische Zeitung "Nowaja Gaseta".

Für Nemzowa ist dies lediglich "eine lahme Ausrede des russischen Außenministeriums". Es könne zwar sein, dass es in dem Fall bislang noch unbekannte Informationen gebe. Dazu müsste man aber zum Beispiel Überwachungsvideos an der Kremlmauer auswerten, die möglicherweise mehr zu dem Tathergang und den Täter preisgeben würden. Der nationale Wach- und Sicherheitsdienst FSO behaupte jedoch, dass es keine Aufnahmen zum Zeitpunkt des Mordes gebe.

Die Ermittler hätten ihre Spuren zwar verfolgt, seien aber in ihrer Arbeit ab einem gewissen Punkt behindert worden, sagte auch der einstige Nemzow-Vertraute und Oppositionelle Ilja Jaschin. "Wir haben kapiert, dass die Spur nach Tschetschenien führt und irgendwo dort verloren geht", sagte Jaschin dem Portal Nastojaschtscheje Wremja. "Es ist aber auch wahrscheinlich, dass man weiter in Moskau suchen sollte - vielleicht sogar in den höchsten Machtetagen."

Anhänger und ehemalige Weggefährten Nemzows planen für diesen Samstag ab 11.00 Uhr MEZ einen Gedenkmarsch in Moskau. Jaschin und sein Kollege Alexej Nawalny riefen zu dem Nemzow-Marsch auf. Der Marsch soll auch gleichzeitig ein Protest gegen die geplanten Verfassungsänderungen und die Verurteilung von Demonstranten sein, die im vergangenen Jahr auf die Straße gegangen waren. "Russlands Bürger wollen diese ungeheuerliche Ungerechtigkeiten nicht mehr hinnehmen", sagte Schanna Nemzowa. Auch sie will an dem Marsch teilnehmen, der wenige Gehminuten vom Kreml entfernt beginnen soll - auch wenn Nemzowa sich zurzeit nicht vorstellen kann, wieder ganz nach Russland zurückzukehren.