Landtagswahl

Nach Thüringen-Wahl: FDP-Politiker beschimpft und bedroht

Christian Unger
| Lesedauer: 6 Minuten
Kemmerich tritt als Ministerpräsident in Thüringen zurück

Kemmerich tritt als Ministerpräsident in Thüringen zurück

Drei Tage nach seiner Wahl im Landtag ist der FDP-Politiker Thomas Kemmerich als Ministerpräsident Thüringens zurückgetreten. Der Rücktritt erfolge "mit sofortiger Wirkung", erklärte Kemmerich in Erfurt. of the election of Thomas Kemmerich and of the vote

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Berlin.  Die Wahl in Thüringen hat für die FDP nicht nur ein politisches Nachspiel. Die Liberalen werden Opfer von Drohungen und Vandalismus.

In dem Moment, in dem die Stimmung kippt, nehmen die Demonstranten der Frankfurter FDP-Politikerin Katharina Schreiner das Mikrofon aus der Hand. Schreiner geht ein paar Schritte nach vorne, ruft den Menschen entgegen, dass für die FDP weder ein Ministerpräsident der AfD noch der Linkspartei infrage komme. Sie will gehört werden. Schreiner will ihre Meinung sagen. Doch ihre Stimme geht in den „Hau ab!“-Rufen der Protestler unter. Ein Video zeigt den Vorfall.

Es ist eine Szene in Deutschland, wie sie in diesen Tagen viele Politiker der Liberalen in Deutschland erleben. Sie werden beschimpft, einige sogar in Emails bedroht. Plakate der FDP beschmiert, Parteibüros attackiert. FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle nennt das einen „Generalangriff von radikalen Linken“ gegen die Partei.

Nach Wahl in Thüringen: Vandalismus und Übergriffe auf FDP

Es ist die Woche, nachdem sich Thüringens FDP-Mann Thomas Kemmerich von Stimmen der rechten AfD und der CDU zum Ministerpräsident wählen lässt. Am Abend der Wahl rufen verschiedenen Gruppen und Parteien zu Protesten in mehreren deutschen Städten auf. Schreiner geht zur Kundgebung in Frankfurt.

Eigentlich, so erzählt sie unserer Redaktion heute, habe sie sich nicht einmischen wollen. Aber dann sei ihre Partei beleidigt worden, es seien „falsche Tatsachen“ behauptet worden. Also greift FDP-Frau Schreiner zum Mikrofon der Demonstration.

Die Wut ist groß. Schon kurz nach der Wahl werfen Politiker der FDP einen „Tabubruch“ vor, sprechen von einem „Pakt mit den Faschisten“. „Rassisten würden hoffähig gemacht“, schallt der Partei die Kritik entgegen.

Kritik kommt auch aus Reihen der FDP

Die Kritik kommt nicht nur von links, auch in der Union und in der FDP selbst wächst der Protest angesichts der Ereignisse in Thüringen. Manche nennen die Wahl Kemmerichs mit Hilfe der AfD einen „Zivilisationsbruch“. An der Spitze der AfD-Thüringen steht Björn Höcke – eine Führungsfigur des völkisch-nationalistischen Flügels der Partei.

Kemmerich war anschließend massiv kritisiert worden, weil er die Wahl, die er ohne die Stimmen der AfD nicht gewonnen hätte, annahm. Er trat am Samstag zurück, ist aber aktuell noch geschäftsführend im Amt.

Und linke Gruppen, aber auch Anhänger von Grünen und SPD, tragen ihren Protest gegen die Wahl des FDP-Politikers auf die Straße. Es sind Tausende, die friedlich demonstrieren.

Manche belassen es nicht bei lauten Rufen. „In Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wurden Landesgeschäftsstellen mit Parolen beschmiert und beschädigt“, schreibt die Geschäftsstelle der Bundes-FDP auf Nachfrage unserer Redaktion. „Derzeit haben wir aber keinen Überblick über die Gesamtzahl der Vorfälle.“

FDP-Politikerin muss mit Tochter nach Angriff fliehen

Kemmerich selbst hat nach eigenen Angaben Drohungen erhalten, steht bereits unter Personenschutz. In Mecklenburg-Vorpommern wurde das Haus einer FDP-Politikerin mit Feuerwerkskörpern beschossen. Sie berichtet, dass sie gemeinsam mit ihrer Tochter aus dem Haus habe fliehen müssen.

In Hamburg ist Wahlkampf für die Bürgerschaftswahl in zwei Wochen. Dort berichtet der FDP-Fraktionschef Michael Kruse unserer Redaktion, er habe bereits rund 200 Wahlplakate einsammeln müssen. Drei Viertel sind demnach beschmiert, mit Hakenkreuzen, SS-Runen, Hitlerbart. Ein Viertel der Plakate sei zerstört. Auch andere FDP-Politiker im Hamburger Wahlkampf berichten von Vandalismus.

Die Übergriffe und Drohungen seien „anti-demokratisch“, sagt FDP-Politiker Kuhle. Sein Parteikollege, der Bundestagsabgeordnete Benjamin Strasser, sieht es ähnlich: „Das Vorgehen in Thüringen war ein Fehler, den wir aber umgehend korrigiert haben. Wenn es nun zu Anschlägen auf Geschäftsstellen und Gewalt gegen FDP-Mitglieder kommt, werden rote Linien überschritten.“

In Frankfurt, bei der Demonstration der antifaschistischen Gruppen, war gemeinsam mit FDP-Frau Schreiner auch ihr Parteikollege Michael Rubin. Er filmte die Szene mit den „Hau ab!“-Rufen mit seinem Handy. Dann zog er weiter zu einer Kundgebung, zu der auch die Grünen aufgerufen hatten.

Jüdischer FDP-Politiker als „Nazi“ beschimpft

Dort sei er dann im Nachgang der Demonstration beschimpft worden. Einige Teilnehmer hätten ihn dort wiedererkannt. Sie riefen: „Nazi!“. So schildert es Rubin. Er, selbst Jude, solle ein „Nazi“ sein. Er sei schockiert gewesen, berichtet der FDP-Politiker im Gespräch mit unserer Redaktion.

Auf Facebook schreibt Rubin noch in der Nacht: „Meine Eltern haben den Holocaust überlebt, viele Familienmitglieder wurden in KZ von Nazis vernichtet oder sind auf den Kriegsfeldern gefallen.“ Für ihn gebe es nichts Schlimmeres als „Nazi“ genannt zu werden.

Die Causa Thüringen habe der FDP geschadet – das sagen selbst FDP-Leute. Und auch Umfragen belegen das: Der Wert der Bundes-FDP fiel um fünf Prozentpunkte auf fünf Prozent, ergab die Erhebung des Umfrageinstituts Forsa.

FDP-Politiker im Wahlkampf wollen sich nicht entmutigen lassen

An den Infoständen im Wahlkampf gebe es jedoch auch andere Stimmen, berichtet Hamburgs FDP-Mann Kruse. „Die Art und Weise, wie Wahlplakate beschmiert und unsere Kandidaten beschimpft werden, verurteilen viele“, sagt er. Kruse will sich nicht entmutigen lassen, will auch die positiven Momente nach der Woche des Eklats in Thüringen hervorheben.

Das macht auch der Pressesprecher der Berliner FDP. Auf Twitter berichtet er, dass gerade ein „junger Mann die Tür zur Landesgeschäftsstelle“ geöffnet habe und gesagt habe: „Ich finde ihr seid keine Nazis“. Der Sprecher schreibt: „Das war… nett.“

Thüringen – mehr zum Thema:

Bei „Anne Will“ wurde der Tabubruch von Erfurt thematisiert. Dabei sorgte vor allem AfD-Fraktionschefin Alice Weidel mit ihrem Verhalten für große Irritation. In der Thüringen-Krise hält die CDU zu AfD und Linken die gleiche Distanz. Das ist politisch zu kurz gedacht – und realitätsfremd. Noch ist unklar, wie es in Thüringen weitergeht. Der frühere Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) strebt weiterhin seine Wiederwahl an. (gem/dpa/afp)