Berlin . Macher einer Studie sehen „Schlupflöcher“ für Extremisten in den AGBs von Bezahldienstleistern – und fordern ein schärferes Vorgehen.

Die Puppen liegen auf dem Kopfsteinpflaster, bedeckt mit einem weißen Tuch, besprenkelt mit rotem Kunstblut. Wie Leichen liegen die Figuren dort. Dahinter ein Schild mit drei Fotos, Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock, die drei Kanzlerkandidatinnen und Kandidaten. Es ist ein Wahlkampf-Event der rechtsextremen Partei „Der Dritte Weg“ in Würzburg. Fotos dokumentieren die Inszenierung.

Die Neonazis postieren sich an diesem Tag nur wenige Meter von dem Ort entfernt, an dem Ende Juni bei einem tödlichen Messerangriff drei Menschen getötet wurden. Offenbar sollen die drei Strohpuppen die „Opfer“ deutscher Asylpolitik darstellen. Die Aufschrift unter den Spitzenpolitikern lautet: „Schön bunt hier“. Mehrere Hundert Menschen demonstrieren gegen den Aufmarsch der Rechten.

Hetze und Hass in Deutschland nimmt zu, gerade von extremen Rechten

Die Sicherheitsbehörden sind seit Jahren beunruhigt: Hetze und Hass in Deutschland nimmt zu, gerade von extremen Rechten. Nicht nur in sozialen Medien im Internet, auch auf der Straße, auch durch Gewaltdelikte.

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Die rechtsextreme Partei „Der Dritte Weg“ hat laut Verfassungsschutz rund 600 Mitglieder. Die Gruppe diene „nach wie vor als Auffangbecken für Personen, die der neonazistischen Szene angehören und teilweise auch Mitglieder verbotener Organisationen waren“. Die Neonazis haben eine Webseite, über die sie Werbematerial und Fan-T-Shirts „für den Nationalrevolutionär“ vertreiben.

Von einem Rechtsterroristen erschossen: der damalige nordhessische Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU)
Von einem Rechtsterroristen erschossen: der damalige nordhessische Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) © dpa | Uwe Zucchi

Die Partei nutzt die Firma „WooCommerce“ als Dienstleister, um auf der Webseite einen Online-Shop anzubieten, mit dem die Rechtsextremisten Geld verdienen wollen. Die IT-Firma stellt die Technik zur Verfügung, für jeden einfach zugänglich im Netz. Es ist ein Markt mit etlichen Anbietern, die Bezahldienste anbieten, es sind Kreditkarten-Unternehmen und auch Dienstleister für digitale Banküberweisungen.

14 Seiten lange Untersuchung zeigt die Nutzung von Bezahldienstleistern durch Rechte

Recherchen des „Institute for Strategic Dialogue“ (ISD) und des Global Disinformation Index (GDI) zeigen nun, dass etliche radikal rechte Gruppierungen, Parteien und Akteure diese Bezahldienstleister nutzen, um digital Produkte, Werbematerial oder Zeitschriften zu vermarkten oder Mitgliederbeiträge oder Spenden einzusammeln – und so an Einnahmen kommen. Geld, das in rechte Strukturen in Deutschland fließt.

Eine 14 Seiten lange Auswertung des Instituts, die unserer Redaktion vorliegt, zeigt: Mehr als 79 Beispiele belegen, dass „extremistische Organisationen ganz offensichtlich verschiedene bekannte Online-Dienstleister, darunter PayPal, WooCommerce und Square, zur Finanzierung ihrer Aktivität nutzen“, schreiben die Macher der Studie. Einzelne dieser Beispiele konnte unsere Redaktion verifizieren.

Das Brisante aus Sicht der beiden unabhängigen und gemeinnützigen Organisationen, die sich nach eigenen Angaben unter anderem gegen „Desinformation und Extremismus“ einsetzen: „Zwölf der untersuchten Finanzdienstleister verfügen über explizite Richtlinien, die die Nutzung ihrer Plattformen zur Verbreitung von Hass oder Gewalt untersagen“, schreiben die Autorinnen und Autoren.

„Eine vermutlich erhebliche Durchsetzungslücke in Deutschland“

Weiter heißt es: „Dies lässt auf eine vermutlich erhebliche Durchsetzungslücke in Deutschland schließen.“ Für Bezahldienstleister ohne explizite Richtlinien zeige sich „die Notwendigkeit, dass Online-Bezahldienste strengere Nutzungsbedingungen schaffen sollten, damit extremistische Bewegungen oder Akteure sie nicht zur Finanzierung der Verbreitung von Hassrede, Desinformation und Verschwörungserzählungen nutzen können“.

Durch Recherchen im Internet und den Einsatz spezieller Software haben die Macher der Studie zunächst 17 bekannte rechtsextreme Gruppen, Parteien oder einzelne Akteure ausgemacht. Alle werden vom Verfassungsschutz beobachtet oder stehen der extremen Rechten nahe, darunter die Identitäre Bewegung, das Magazin „Compact“, aber einzelne Akteure wie Attila Hildmann sowie Parteien wie die NPD, Die Rechte und der „Dritte Weg“.

Die Analysten konnten insgesamt 20 Finanzdienstleister und Bezahldienstleister identifizieren, die von extremen Rechten auf ihren Webseiten genutzt würden (Stand: Anfang September). Darunter laut der Organisationen Kreditkartenunternehmen, bekannte Plattformen wie Paypal, aber Anbieter von Online-Shopping-Formaten wie WooCommerce und Spendendienste wie Patreon und GiveWP.

Der Webshop-Service WooCommerce ist nach Angaben der beiden Organisationen der am häufigsten genutzte Zahlungsdienst. Ihn nutzt auch die Neonazi-Partei „Der Dritte Weg“. Direkte Online-Banküberweisungen bieten mehr als zwei Drittel der untersuchten Gruppen und Akteure auf ihren Online-Auftritten an, um Einkäufe oder Spenden zu tätigen. Einzelne extreme Rechte nutzen laut der Untersuchung auch verschlüsselte Kryptowährungen.

„Sie alle bedrohen die deutsche Demokratie. Es besteht dringender Handlungsbedarf“

Ein Dutzend der untersuchten IT-Unternehmen, die von den extremen Rechten als Dienstleister für Online-Geschäfte genutzt werden, wenden sich laut der Analyse in eigenen Richtlinien gegen Nutzer, die hetzen, Hass verbreiten oder Gewalt schüren. So schreibt etwa der Anbieter Patreon, dass es dort „keinen Raum für Projekte“ gebe, die „Hassrede finanzieren, zum Beispiel den Aufruf zu Gewalt, Ausgrenzung oder Segregation“. Die Firma Square schreibt, es „toleriere keinen Hass in unseren Produkten oder auf unseren Plattformen“. Der Anbieter WooCommerce verbietet Inhalte, die etwa „zu Gewalttaten gegen Individuen oder Gruppen von Menschen“ animieren.

Unsere Redaktion hatte kurzfristig mehrere Bezahldienstleister um eine Stellungnahme gebeten. Bis Dienstagabend blieb eine Antwort aus. Die Macher der Analyse sehen einen Bruch zwischen den Bekundungen der Unternehmen im Kampf gegen Hassrede und den extrem rechten Gruppen und Akteuren, die auf die Dienstleistungen zurückgreifen. „Wir sehen klare Durchsetzungsdefizite und Schlupflöcher in den Nutzungsbedingungen, die es Hassgruppen in Deutschland ermöglichen, ihre Tätigkeiten zu finanzieren“, sagt Huberta von Voss, Geschäftsführerin vom Institute for Strategic Dialogue in Deutschland. „Sie alle bedrohen die deutsche Demokratie. Es besteht dringender Handlungsbedarf, die finanzielle Lebensader von Demokratiefeinden zu kappen.“

Die Neonazi-Partei „Der Dritte Weg“ ruft auf und provoziert: „Hängt die Grünen“

Clare Melford, Mitbegründerin und Geschäftsführerin des Global Disinformation Index hebt hervor: „Es muss etwas unternommen werden, dass diese Online-Finanzierungsdienste ihre Richtlinien aktualisieren, durchsetzen und angleichen, um die Finanzierung von Hassgruppen und Desinformationsakteuren zu stoppen.”

Die beiden Organisationen, die sich nach eigenen Angaben international gegen Hassrede und Desinformation einsetzen, hatten eine vergleichbare Analyse auch in den USA gefertigt. Daraus geht hervor, dass 73 extremistische Gruppierungen insgesamt Online-Finanzdienstleistungen von mehr als 50 Organisationen nutzen. Danach hätten mehrere IT-Firmen die technische Unterstützung für die Radikalen eingestellt, berichtet ein Macher der Studie für den deutschen Markt. Reagiert hätten demnach etwa PayPal und Amazon.

Auf der Webseite des Online-Shops der rechten Partei „Der Dritte Weg“ können Anhänger auch Plakate für den Bundestagswahlkampf kaufen. Darunter Slogans wie „Gesunde Familien statt Homo-Propaganda“ oder „Volkstod stoppen“. Erst vor Kurzem sorgte ein Plakat der Partei für Diskussionen. „Hängt die Grünen!“, hieß es dort. Grün ist auch die Farbe vom „Dritten Weg“. Nur: Es ist ein typischer Schachzug von extremen Rechten – die Formulierung bleibt im Ungefähren. Doch es ist auch als Aufruf zu Gewalt zu verstehen.