Brüssel. Die Justizreformen der polnischen Regierung sorgen immer wieder für Kritik. Die rechtsnationale Regierung in Warschau lässt sich dennoch nicht in ihrem Kurs beirren. Das höchste EU-Gericht schreitet ein.

Im Streit um die polnischen Justizreformen hat die nationalkonservative Regierung in Warschau einen deutlichen Dämpfer vor dem Europäischen Gerichtshof bekommen.

Die 2018 gegründete Disziplinarkammer muss ihre Arbeit nach einer Entscheidung zunächst aussetzen, weil sie möglicherweise nicht unabhängig ist. Mit ihrer Entscheidung gaben die Luxemburger Richter einem Antrag der EU-Kommission auf einstweilige Verfügung statt. Ein endgültiges Urteil wird der EuGH zu einem späteren Zeitpunkt treffen (Rechtssache C-791/19 R).

Die PiS-Regierung baut das Justizwesen Polens seit Jahren ungeachtet internationaler Kritik um und setzt Richter damit unter Druck. Die EU-Kommission klagte schon mehrfach gegen die Reformen; zum Teil wurden sie vom EuGH gekippt. Darüber hinaus begann die Brüsseler Behörde 2017 ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge. Damit können einem Staat bei Verstößen gegen EU-Grundrechte im äußersten Fall Stimmrechte entzogen werden. Das Verfahren stockt jedoch.

Warschau zeigte sich bislang wenig einsichtig - so auch im Falle der jüngsten Entscheidung. Sie verletze die Souveränität Polens, schrieb der stellvertretende Justizminister Sebastian Kaleta auf Twitter. Der EuGH habe in dieser Angelegenheit keine Kompetenz.

Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki will den Ball an das eigene Verfassungsgericht mit Sitz in Warschau weiterspielen. "Wir werden auf alle Fälle eine Anfrage in dieser Sache an den Verfassungsgerichtshof richten, welcher die höchste Berufungsinstanz ist", sagte er der Agentur PAP zufolge. Es gehe um die Frage, "inwieweit eine Institution wie der EuGH einstweilige Verfügungen wie diejenige, die wir heute erhalten haben, erlassen darf", sagte der PiS-Politiker

Anfang Februar führte die Regierung ein weiteres Gesetz zur Disziplinierung von Richtern ein. Hier könnte die EU-Kommission bald tätig werden und erneut ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Zuletzt setzte die PiS durch, dass die Präsidentenwahl am 10. Mai trotz Corona-Krise per Briefwahl abgehalten wird. Dies sorgte in Polen und anderen Ländern für heftige Kritik.

Die EU-Kommission begrüßte die Entscheidung vom Mittwoch: "Unabhängige Richter sind der Schlüssel für Demokratie und Rechtsstaat", sagte Vizekommissionspräsidentin Vera Jourova. Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbunds, Sven Rebehn, betonte: "Sollte die polnische Regierung ihren Raubbau am Rechtsstaat fortsetzen, dürfte es nicht ihre letzte Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof bleiben." Es sei wichtig, dass die EU-Kommission den Druck auf Warschau hoch halte.

Die Disziplinarkammer ist ein Schlüsselelement der PiS-Reformen. Sie kann jeden Richter oder Staatsanwalt entlassen. Die Mitglieder der Kammer werden vom Landesjustizrat ausgewählt. Dieser soll eigentlich die Unabhängigkeit der Richter garantieren. Früher hatten in ihm Richter die Mehrheit, die von anderen Richtern gewählt wurden. Doch seit der PiS-Justizreform Ende 2017 werden die Mitglieder des Landesjustizrats vom Parlament gewählt.

Das Oberste Gericht in Polen hatte schon im Dezember entschieden, die Kammer verstoße gegen europäisches und polnisches Recht. Daraufhin stellte die EU-Kommission den Antrag auf einstweilige Verfügung.

Der EuGH wies nun zunächst die polnische Behauptung zurück, das Gericht sei in diesem Fall nicht zuständig. Zwar sei die Organisation des Justizwesens Sache der jeweiligen EU-Staaten. Dabei müssten sie jedoch gemeinsames EU-Recht einhalten und dafür sorgen, dass Disziplinarverfahren gegen Richter von Kammern mit unabhängigen Richtern geprüft würden.

Die Unabhängigkeit der Disziplinarkammer sei von großer Wichtigkeit. Allein die Gefahr, eine möglicherweise nicht ausreichend unabhängige Kammer könnte Disziplinarverfahren gegen Richter prüfen, könne die Unabhängigkeit der betroffenen Richter beeinträchtigen, entschied der EuGH. Werte wie Rechtsstaatlichkeit könnten schweren Schaden nehmen.

Die Richter betonten zudem, dass ihre Entscheidung nicht zur Auflösung der Kammer führe, sondern die Arbeit nur bis zum endgültigen Urteil ausgesetzt werde. Der dadurch entstehende Schaden sei geringer als jener, wenn die Disziplinarkammer weiter arbeite - obwohl diese womöglich nicht unabhängig und unparteilich sei.