Berlin/London. In Westminster spekuliert man, dass Boris Johnson eine Rückkehr plant. Sunaks Schwierigkeiten könnten dazu eine Gelegenheit geben.

Vor vier Monaten trat Boris Johnson als britischer Premierminister zurück, aber seither ist er nicht untätig gewesen. Er hat in New York und in Lissabon Reden gehalten, ist an einer Konferenz von Versicherungsmaklern in Washington aufgetreten und hat an einem VIP-Event der indischen Zeitung "Hindustan Times" ein paar Worte gesagt.

Insgesamt haben ihm die vier Auftritte eine Million Pfund eingebracht – ein Stundenlohn von 30.000 Pfund, wie aus einer Datenbank des Unterhauses ersichtlich ist. Aber trotz dieser doch eher lukrativen Karriere als Nicht-Premier kursiert dieser Tage in Westminster ein Gerücht: Johnson ziehe es zurück nach Downing Street, er könnte in diesem Jahr ein spektakuläres Comeback planen.

Britischer Premierminister: "Boris Johnson wird zurückkommen."

Johnson sei noch lange nicht am Ende, sagte der ehemalige Fraktionschef Mark Spencer vor einigen Tagen: "Man schreibt ihn auf eigene Gefahr ab." Sein Parteikollege Jake Berry hatte bereits Wochen zuvor beteuert: "Boris Johnson wird zurückkommen." Am vergangenen Wochenende meldete sich Johnson ergebenste Anhängerin zu Wort. Die Konservative Partei "muss Boris zurückbringen oder sterben", schrieb Nadine Dorries, ehemalige Kulturministerin, in der "Mail on Sunday".

Sie schwärmt von ihrem Idol, dem "charismatischsten, progressivsten und produktivsten Tory-Chef seit Margaret Thatcher" und nennt ihn "unseren politischen Rockstar". Nur wenn dieser Mann die Partei in die nächsten Wahlen führe, habe sie eine Chance zu gewinnen, schreibt Dorries. Demgegenüber steuere Premierminister Rishi Sunak die Konservativen "in die kalte und brutale Ödnis der Opposition."

Sunak wird neuer britischer Premierminister

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    Tatsächlich werden die Spekulationen über eine Rückkehr Johnsons vor allem durch Sunaks Probleme befeuert. Zwar hat es der Premierminister geschafft, nach den Turbulenzen des vergangenen Jahres die Wogen im Londoner Politbetrieb zu glätten, er ist nüchtern und seriös, wenn auch etwas farblos. Aber beim rechten Rand der Tory-Fraktion wächst die Ungeduld.

    Abgeordnete fürchten, dass Sunak zwei ihrer wichtigsten Anliegen vernachlässigt: Die Bootsüberfahrten über den Ärmelkanal, und Brexit. Ein Stop der irregulären Migration, insbesondere per Gummiboot von Frankreich aus, ist ein zentrales Ziel dieser Politiker. Sunak hat auch immer wieder klar gemacht, dass er nichts unversucht lassen wird, um die Bootsüberfahrten zu stoppen – bislang mit wenig Erfolg. 2022 gelangten über 45.000 Menschen über den Ärmelkanal nach Großbritannien, das sind 60 Prozent mehr als im Vorjahr.

    Ebenso unzufrieden sind die rechten Tory-MPs in Bezug auf Sunaks Brexit-Politik. Zwar war der EU-Austritt bislang nach so ziemlich jedem Maßstab ein Reinfall, er hat mehr Bürokratie, zusätzliche Kosten und Personalmangel nach sich gezogen. Aber die Brexiteers haben noch nicht aufgegeben. Sie hoffen auf eine Vorlage, die den Großteil der EU-Gesetzgebung, die in britisches Recht übertragen worden ist, über Bord werfen würde.

    So würde das Land endlich die lang ersehnten "Brexit-Freiheiten" erlangen, sagen sie. Das entsprechende Gesetz, das Sunak kürzlich vorgelegt hat, soll bis Ende dieses Jahres abgesegnet sein. Aber das Oberhaus hat bereits Widerstand angekündigt, sodass der Zeitplan kaum eingehalten werden kann – sehr zum Frust der Brexit-Fans. "Rishi Sunak zeigt seine wahren Farben", schrieb Peter Cruddas, Johnson-Fan im Oberhaus, auf Twitter: "Kein Wunder, wollten sie Boris Johnson aus dem Weg räumen. Es ging immer darum, den Brexit rückgängig zu machen!"

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    Am Wochenende wurden in der britischen Presse ein anonymer Tory-Abgeordneter und Ex-Kabinettsminister mit den Worten zitiert: "Wir sehen im Moment die Ruhe vor dem Sturm." Wenn Sunak nicht bald Erfolge vorweisen kann in Bezug auf Brexit und Migration, dann werden Sunaks parteiinterne Gegner Konsequenzen ziehen – es könnte der Beginn einer Rebellion sein. Und viele hätten gern, dass ein solcher Aufstand vom Brexit-Helden Boris Johnson angeführt würde.

    Manche Tories haben sich bereits daran gemacht, einer Rückkehr Johnsons den Boden zu bereiten. Zusammen mit der ehemaligen Innenministerin Priti Patel gründete Peter Cruddas vor wenigen Wochen die Conservative Democratic Organisation (CDO). Vordergründiges Ziel ist es, den rund 170.000 Tory-Parteimitgliedern mehr Mitsprache zu geben. Da jedoch der Ex-Premier bei der Parteibasis noch immer sehr viel Unterstützung genießt, kann man davon ausgehen, dass der eigentliche Zweck der CDO ein anderer ist: Johnson zurück in die Downing Street zu befördern.

    Ein möglicher Zeitpunkt für den Beginn einer solchen Kampagne sind die Lokalwahlen im Mai. Wenn die Tories so schlecht abschneiden wie die Umfragen derzeit nahelegen – Labour liegt etwa zwanzig Prozentpunkte vor der Regierungspartei –, wären die Johnson-Anhänger schnell zur Stelle, um einen Regierungswechsel zu fordern.

    Rückkehr von Boris Johnson: Skepsis ist angebracht

    Aber manche politischen Beobachter sind skeptisch, was ein Johnson-Comeback angeht. Der Mann selbst hat noch keinerlei Hinweise gegeben, dass er tatsächlich wieder antreten würde. Dazu kommt die Tatsache, dass noch immer eine Untersuchung läuft gegen Johnson.

    Das sogenannte Privilegien-Komitee des Unterhauses beschäftigt sich derzeit mit der Frage, ob er das Parlament inmitten der Party-Affäre bewusst in die Irre geführt hatte. Sollte der Ausschuss zum Schluss kommen, dass Johnson tatsächlich schuldig ist, könnte er eine Suspendierung vom Parlament empfehlen – dann wäre der Traum vom Comeback mit einem Schlag futsch.