Berlin. Mehrere Erkrankungen werden durch die Anhebung des Rentenalters bei Frauen ausgelöst. Prävention wird wichtig, aber hilft nicht immer.

Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit geht zu Lasten der Gesundheit. Insbesondere psychische Erkrankungen, Übergewicht und Rückenbeschwerden nehmen deutlich zu. Das geht aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervor, die an diesem Mittwoch veröffentlicht wird. „In keiner Dimension konnte eine Verbesserung der Gesundheit festgestellt werden“, sagt DIW-Forscherin Mara Barschkett.

Für die Untersuchung hat das Institut Gesundheitsdaten zweier Jahrgänge von Frauen verglichen. Die 1951 geborenen Frauen durften schon ab einem Alter von 60 Jahren in den Ruhestand gehen, die des Jahrgang 1952 erst mit 63 Jahren.

Rente: Sonderregelung für Frauen wurde abgeschafft

Der Unterschied ist ein Ergebnis der Rentenreform des Jahres 1999 zurück. Damit wurde die an bestimmte Voraussetzungen geknüpfte Sonderregel für Frauen abgeschafft. Seit dem Ende einer Übergangsfrist gilt nun das Alter von 63 Jahren als frühestmöglicher Zeitpunkt für den Renteneintritt.

Zwischen den beiden untersuchten Jahrgängen zeigen sich bei der Auswertung der Gesundheitsdaten der Krankenkassen erhebliche Unterschiede. „Frauen, die von der Reform betroffen waren und erst mit 63 in Rente gehen konnten, wiesen häufiger psychische Erkrankungen sowie Adipositas und Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems auf“, heißt es in der Studie. Dazu zählen beispielsweise Athrose und Wirbelsäulenkrankheiten.

Stressbedingte Krankheiten nahmen zu

Stressbedingte Krankheiten nahmen im Vergleich zum noch begünstigten Jahrgang 1951 um 2,6 Prozent zu, bei Stimmungsstörungen verzeichneten die Wissenschaftler eine Zunahme um 4,6 Prozent. „Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes können wir keine Veränderung feststellen“, sagt Barschkett.

Heraus kam aber auch, dass sich bei keiner Diagnose der Gesundheitszustand durch eine längere Lebensarbeitszeit verbessert hat. Für die Studie verwendete das Institut die Daten aller gesetzlichen Krankenkassen. Damit werden rund 90 Prozent der Bevölkerung abgedeckt. Die Analyse selbst beschränkte sich auf die beiden Frauenjahrgänge vor und nach der Reform.

Längere Arbeitszeit führt zu mehr Arztbesuchen

Die häufigeren Erkrankungen gehen auch mit vermehrten Arztbesuchen und damit steigenden Gesundheitskosten einher. Unter finanziellen Aspekten fällt das Ergebnis der Reform allerdings für die Gesellschaft positiv aus. „Die Gesundheitskosten steigen im Jahr ungefähr um 14 Euro pro Patientin an“, erläutert Barschkett. Die jährlichen Mehrkosten liegen damit bei 7,7 Millionen Euro.

SystemDie gesetzliche Rente funktioniert nach dem Äquvivalenz- und dem Solidarprinzip.
Renten-ArtenGrund-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenrente
AusnahmenSelbstständige und Freiberufler sind in der Regel von der Versicherungspflicht befreit.
FinanzierungDie gesetzliche Rente in Deutschland ist grundsätzlich umlagenfinanziert.
ProblemeDie Unterfinanzierung resultiert hauptsächlich aus der zunehmend älter werdenden Bevölkerung in Deutschland.
Drei SäulenDie Altersvorsorge in Deutschland umfasst die gesetzliche, betriebliche und private Altersvorsorge.
UrsprungDie gesetzliche Rente wurde am 22. Juli 1889 unter Reichskanzler Otto von Bismarck offiziell eingeführt.

Das ist im Vergleich zu den Gesamtkosten im Gesundheitssystem sehr wenig. Außerdem stehen den zusätzliche Ausgaben weitaus höhere zusätzliche Einnahmen gegenüber. Diese resultieren vor allem aus Steuern, Abgaben und geringere Transferleistungen. Die kurzfristigen Effekte beziffert das DIW auf vier Milliarden Euro, ein Vielfaches der Mehrausgaben für Arztbesuche.

Der zusätzlicher Stress ist schädlich, sagen die Forscher

Die Gründe für einen schlechteren Gesundheitszustand durch das höhere Renteneintrittsalter sehen die Forscher vor allem im zusätzlichen Stress, dem die Arbeitnehmerinnen ausgesetzt sind und darin, dass die Beschäftigten zum Teil überfordert werden. „Wenn die Arbeit die Gesundheit erst in Mitleidenschaft gezogen hat, ist es meist zu spät“, erläutert Studienmitautor Peter Haan. Die Folgen würden sich bei besseren Bedingungen für ein längeres Arbeiten vermindern.

Expertin Barschkett geht davon aus, dass die Ergebnisse bei Männern ähnlich ausfallen würden. Dazu habe das Institut jedoch keine Daten erhoben. Auch kämen internationale Studien zu unterschiedlichen Resultaten, schränkt sie die Vermutung ein.

Die Arbeitsbedingungen im Alter sollten angepasst werden

„Aus unserer Sicht sollten weitere Erhöhungen des Renteneintrittsalters von präventiven Maßnahmen begleitet werden“, sagt Barschkett. Sie nennt als Beispiel Investitionen in die Gesundheit von Arbeitnehmern schon in frühen Jahren. Gleichzeitig sollten die Ausgaben für Bildung und Weiterbildung steigen. Das gilt als Voraussetzung für einen Wechsel von einer schweren und anstrengenden Tätigkeit hin zu einer altersgerechten Beschäftigung.

„Ebenso müssen die Arbeitsbedingungen im Alter angepasst werden“, fordern die Experten. So ließe sich die mit zunehmenden Alter ansteigende Arbeitsbelastung auffangen. Auch die Erwerbsminderungsrente wird bei einem höheren Renteneintrittsalter ein immer wichtigeres Instrument, um Gesundheitsrisiken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abzusichern.

Viele Arbeitnehmer schaffen es nicht, bis 67 zu arbeiten

Prävention spielt in der Debatte um die zukünftige Finanzierung des Rentensystems und als Mittel gegen den Fachkräftemangel in Fachkreisen eine große Rolle. Denn eine weitere Anhebung des Rentenalters auf 69 oder 70 Jahre gehört zu den Forderungen, insbesondere der Arbeitgeber. Die Gewerkschaften lehnen dies ab, weil viele Beschäftigte dazu gar nicht mehr in der Lage sind und eine Anhebung deshalb zu einer faktischen Rentenkürzung führen würde.

Zunächst steht aber der Wunsch obenan, dass weniger Arbeitnehmer vorzeitig in den Ruhestand gehen, als tatsächlich bis zum aktuellen Renteneintrittsalter von 67 Jahren im Job bleiben. Das schaffen viele Arbeitnehmer nicht, insbesondere wenn sie schwere Berufe ausüben, etwa beim Bau.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.