Berlin. Erneut schlugen russische Raketen nahe dem Atomreaktor Saporischschja ein. In der Ukraine wächst die Angst vor einem Nuklear-Desaster.

In der Ukraine wächst die Sorge vor einem Angriff auf das von Russland besetzte Atomkraftwerk Saporischschja im Süden des Landes. Bei russischen Attacken auf die Stadt Saporischschja sind am Donnerstag nach ukrainischen Angaben zwei Menschen getötet und fünf weitere verschüttet worden.

Die Stadt ist rund 50 Kilometer Luftlinie vom Reaktor entfernt. „Es gibt keine Garantie, dass russische Raketen nicht auch mit der gleichen Zerstörungskraft den Nuklearmeiler treffen“, sagte ein ukrainischer Diplomat unserer Redaktion.

Kremlchef Wladimir Putin hat das Atomkraftwerk Saporischschja verstaatlicht

Die ukrainisch kontrollierte Stadt Saporischschja liegt in der gleichnamigen Region, in der sich auch das von der russischen Armee besetzte Kernkraftwerk Saporischschja befindet. Moskau hatte das Gebiet in dieser Woche annektiert, obwohl es nicht vollständig von russischen Truppen beherrscht wird. Per Dekret hatte Russlands Präsident Wladimir Putin auch die Nuklearanlage unter russische Verwaltung gestellt.

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Nach Angaben westlicher Geheimdienste sind derzeit rund 500 russische Soldaten auf dem Reaktorgelände stationiert. Der Reaktor wird von mehreren Hundert ukrainischen Nuklearfachleuten betrieben. „Die Ukrainer sind von schwer bewaffneten russischen Militärs umgeben und stehen unter enormem Stress. Dadurch steigt das Risiko, Fehler zu machen und eine Atomkatastrophe zu verursachen“, warnen Wissenschaftler im Westen.

Ukraine: Putin stellt Akw Saporischschja unter russische Verwaltung

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    Bei vielen Menschen kommen Erinnerungen an Tschernobyl hoch

    Der Chef des Akw, Ihor Muraschow, war am Freitag von russischen Truppen festgenommen worden. Mittlerweile ist er laut Internationaler Atomenergiebehörde (IAEA) wieder bei seiner Familie.

    Die Raketeneinschläge sowie Kämpfe in der Nähe des Atomkraftwerks schüren die Angst vor einem nuklearen Desaster. Bei vielen Menschen löst das Assoziationen mit Tschernobyl aus. Im April 1986 kam es in dem damaligen Sowjet-Reaktor zu einer Kernschmelze. Die radioaktive Wolke wanderte auch nach Westen.

    Fehlt der Strom für das Kühlwasser, droht eine Kernschmelze

    Saporischschja ist allerdings nicht mit Tschernobyl zu vergleichen. Nach Einschätzung von Sebastian Stransky von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit hat Saporischschja den Standard von Reaktoren westlicher Bauart gleichen Alters.

    Es gibt jedoch im Akw Saporischschja ein zusätzliches Problem: Die Hauptleitungen zum Stromnetz der Ukraine sind infolge des Krieges beschädigt. Zeitweise wurden alle sechs Blöcke abgeschaltet. Strom fließt dann nur über eine Notfallversorgung aus einem benachbarten Wärmekraftwerk. Ist auch die eines Tages gekappt, gibt es keine Energie mehr für das Kühlwasser. Dann droht eine Kernschmelze mit furchtbaren Folgen.

    Umweltministerin Steffi Lemke: Kein Anlass für übermäßige Angst in Deutschland

    IAEA-Chef Rafael Grossi traf am Donnerstag in Kiew ein und wollte später nach Moskau reisen. „Der Bedarf für eine internationale Schutzzone um das Kraftwerk ist dringender denn je“, betonte er. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) jedoch keinen Anlass für übermäßige Angst in Deutschland.

    Die Bevölkerung, die im unmittelbaren Umfeld der Atomkraftwerke in der Ukraine lebe, sei einer ungleich größeren Gefahr ausgesetzt als die deutsche, sagte Lemke unserer Redaktion. „Aufgrund der Entfernung zur Ukraine ist es selbst in einem Worst-Case-Szenario unwahrscheinlich, dass eine Einnahme von Jodtabletten in Deutschland erforderlich werden könnte.“