Berlin. Was folgt auf die Ära Merkel? Die Aufstellung von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten entzündete bei SPD und Linken die Debatte über ein mögliches gemeinsames Bündnis.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat Zweifel an der Regierungsfähigkeit der Linken im Bund angemeldet. Aber auch die Führung der Linkspartei betonte Hürden vor einer möglichen Koalition beider Parteien nach der Bundestagswahl in gut einem Jahr.

Der Vize-Kanzler sagte in der ARD-Sendung "Maischberger - Die Woche" auf die Frage, ob er die Linke für regierungsfähig halte: "Ich glaube, da gibt es noch viele Fragen." Da werde es viel zu diskutieren geben. "Ich wünsche gute Verrichtung", sagte Scholz. "Wer regieren will, muss auch regierungsfähig sein." Da hätten alle bis zur Wahl noch viel zu tun.

Linken-Chefin Katja Kipping reagierte zurückhaltend. "Ich bin froh, dass wir über voreilige Ausschließeritis hinweg und offen für konstruktive Gespräche sind", sagte sie der "Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft" (Freitag). "Olaf Scholz hat recht damit, dass es zwischen unseren Parteien im Falle einer Regierungsbildung viel Redebedarf gibt." Auch die Linke habe kritische Fragen an die SPD.

Die SPD liegt in Umfragen derzeit bei 14 bis 18 Prozent, die Linke bei 6 bis 9. Die als möglicher weiterer Koalitionspartner geltenden Grünen liegen bei 15 bis 21 Prozent.

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch nannte es auf Twitter "bezeichnend", dass Scholz keine Zweifel an der Regierungsfähigkeit von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) habe - aber an der der Linken. Der Parteivorsitzende Bernd Riexinger sagte der "Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen" (HNA): "Die Frage ist, ob Olaf Scholz einen Richtungswechsel in der Politik will und dafür begeistern kann." Er sehe Gemeinsamkeiten mit der SPD. "Ich glaube schon, das Scholz Kanzler kann."

SPD-Chefin Saskia Esken sagte der Zeitschrift "Bunte": "Nach Merkel gibt es neue Potenziale. Und Olaf ist in jedem Fall ein echter Sozialdemokrat. Olaf hat den Kanzler-Wumms."

Die rheinland-pfälzische SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Nach dem Mitgliedervotum für den Vorsitz sind die Streitigkeiten in der SPD eingestellt worden." Es gebe konstruktive Stimmung und große Geschlossenheit in der Partei. Programmatisch habe sich die SPD weiter entwickelt. "Das war schon unter Andrea Nahles angelegt worden und wird jetzt fortgeführt."

Esken und SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hatten sich 2019 im Rennen um den Vorsitz in einem Mitgliederentscheid gegen Scholz durchgesetzt. Walter-Borjans schloss aus, dass Scholz Parteivorsitzender wird. "Für Olaf Scholz, Saskia Esken und mich steht fest: Olaf Scholz soll Kanzler werden - im bewährt engen Schulterschluss mit denen, die jetzt an der Spitze der Partei stehen", sagte er der "Augsburger Allgemeinen".

Eine knappe Mehrheit der SPD-Wähler sieht die Nominierung von Scholz positiv. 52 Prozent derer, die bei der letzten Bundestagswahl die SPD gewählt haben, sehen in ihr eine Verbesserung der Chancen der SPD im Wahlkampf. Auch Wähler der Grünen (42 Prozent), der Union (41 Prozent) sowie der FDP (40 Prozent) sehen die Chancen für die SPD durch die Nominierung von Scholz verbessert. Bei den Linke-Wählern sehen 30 Prozent bessere, 32 Prozent schlechtere Chancen.

Vorstand und Präsidium der SPD hatten Scholz am Montag einstimmig als Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2021 nominiert. Eine Bestätigung auf einem Parteitag ist nicht mehr nötig. Die SPD ist damit die erste im Bundestag vertretene Partei mit einem Kanzlerkandidaten für die Wahl im Herbst 2021.

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