Berlin/Stockholm. Nord-Europa erlebt einen Rechtsruck: Die Schwedendemokraten dringen in bürgerliche Milieus vor. Jetzt könnten die Rechten mitregieren.

Das Wappen kommt so harmlos daher, fast soft. Eine Blume, in blau und gelb, den Farben Schwedens. Dazu der Slogan, der auf „Tradition“ und ein „Gefühl von Sicherheit“ setzt. Es ist das Logo der Schwedendemokraten – die neue Rechtsaußen-Macht in dem Land. Viele sorgen sich nun vor einem Rechtsruck in dem lange so liberalen Schweden. Wer sind die Rechten, die nun einen massiven Aufstieg feiern? Und vor allem: warum?

Der Chef der Schwedendemokraten, Jimmie Akesson, machte es nach der Wahl deutlich: „Unsere Ambition ist es, mit in der Regierung zu sitzen.“ Seine Partei ist zweitstärkste Kraft geworden, nur die Sozialdemokraten waren noch stärker. Seit vielen Jahren mischen die extremen Rechten die schwedische Politik auf, immer wieder waren sie in Umfragen stark – und fielen am Ende doch immer wieder hinter den Erwartungen zurück. Diesmal ist es anders. Lesen Sie auch: Bartsch: Die Linke muss zurück zu ihrer eigentlichen Aufgabe

„Der Erfolg der Schwedendemokraten verändert die politische Landschaft in Schweden“, sagt der Nordeuropa-Experte und Dozent für Europastudien an der Universität im norwegischen Trondheim, Tobias Etzold, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Lange gab es zwei feste Blöcke, einen mitte-links, einen anderen mitte-rechts. Bildeten die rechten Schwedendemokraten nach Einzug ins Parlament 2010 zunächst einen eigenen dritten Block, sind sie inzwischen Zeil des bürgerlichen Lagers.“ Und sie sind mächtiger denn je.

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© dpa | Maja Suslin

Schweden: Die Demokraten könnten diese Regierung stark nach rechts treiben

Das konservative Lager strebt nun mit einem Bündnis nach der Macht – toleriert durch Akessons Partei. Eine alte schwedische Gewissheit weicht auf, niemals mit den extremen Rechten zu kooperieren. Die Schwedendemokraten könnten diese Regierung stark nach rechts treiben.

Kurz vor der Wahl hatte es wieder eine dieser Meldungen gegeben, die Akessons Rechte so stark gemacht hat: Auf einem Spielplatz in einer Stadt nahe Stockholm werden eine Mutter und ihr Kind angeschossen. Sie sind zur falschen Zeit am falschen Ort. Eine Schießerei zwischen rivalisierenden Jugendbanden soll Hintergrund der brutalen Tat sein.

Jede Woche ist 2022 mindestens ein Mensch in Schweden mit einer Waffe getötet worden, Gewalt auf der Straße gehört in einzelnen Stadtgebieten zum Alltag. Oft sind die Täter noch Jugendliche. Die Schwedendemokraten haben mit radikalen Parolen die Innere Sicherheit im Wahlkampf auf die Agenda getrieben. Mit Erfolg. Auch interessant: Midterms 2022: Prognosen deuten Sieg für beide Parteien an

„Die anderen, bürgerlichen Parteien haben keinen entschlossenen Umgang mit den Schwedendemokraten gefunden“, sagt Experte Etzold. „Im Gegenteil: Viele Politikerinnen und Politiker der linken und konservativen Parteien redeten den Schwedendemokraten sogar nach dem Mund. Nachdem die Partei lange geächtet wurde, wurden nun sogar Machtoptionen aufgezeigt. Die Annäherung des bürgerlichen Milieus an den Populismus der Schwedendemokraten hat aber eher dazu geführt, dass viele Schweden offenbar lieber gleich das ‚Original‘ wählten.“

Segregation und Ghettoisierung in Städten wie Malmö und Stockholm

Die Angst vor Energieknappheit, die hohen Preise der Inflation, die Rückkehr von Atomkraft – was in ganz Europa die politische Agenda bestimmt, war auch Thema im schwedischen Wahlkampf. Doch die Debatte über Integration prägt das Land stärker als viele andere EU-Staaten. Heute ist die schwedische Gesellschaft gespalten, hohe Arbeitslosigkeit und wenig Perspektive bestimmen migrantischen Alltag. Es fehlt an Bildung. Die Folge: Segregation und Ghettoisierung in Städten wie Malmö und Stockholm – Bandenkriminalität ist für viele Jugendliche in diesen Vierteln einer der wenigen Auswege aus der Armut.

Anhänger der Schwedendemokraten feiern bei der Wahlbeobachtung der Partei im Elite Hotel Marina Tower in Nacka, in der Nähe von Stockholm.
Anhänger der Schwedendemokraten feiern bei der Wahlbeobachtung der Partei im Elite Hotel Marina Tower in Nacka, in der Nähe von Stockholm. © dpa | Stefan Jerrevång

„Zwar haben auch die anderen Parteien reagiert, die Regierung hatte in den vergangenen Jahren die Polizei verstärkt und auch die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden mit den Jugendämtern aufgebaut“, sagt Experte Etzold. Nachdem Schweden 2015 viele Geflüchtete aufgenommen hatte, wurden nach und nach auch die Asylgesetze stark verschärft, Abschiebungen forciert, Familiennachzug begrenzt. „Doch die Probleme haben sich über Jahrzehnte verschärft. Die linken und bürgerlichen Parteien haben bei dem Thema nicht die entscheidenden Antworten gefunden.“ Lesen Sie auch: USA: Warum die Demokratie kurz vor dem Kollaps steht

Rechte Rhetorik: Land von „Verrätern“ und „invasiven artfremden Feinden“ befreien

Die Schwedendemokraten stimmen in ihren Forderungen ein: mehr Abschiebungen, verschärfte Asylgesetze, verbale Attacken gegen „Fremde“. Vor allem bei jungen Wählern fruchten diese Parolen. Bei Männern bis 30 Jahre erzielte die Partei ihre besten Ergebnisse – und vor allem im Süden Schweden, wo Autonomie von der Regierungspolitik in Stockholm immer schon stärker ausgeprägt war.

Die Schwedendemokraten gründeten sich Ende der 1980er-Jahre. Die Partei erwuchs, anders als viele andere rechte Parteien in Europa, nicht aus einer konservativen, ländlichen Bewegung. Die Schwedendemokraten gründeten sich mit klar neonazistischer Agenda. Heute versucht der Parteichef Akesson die Partei stärker in bürgerlichen Milieus zu etablieren. „Zumindest an der Oberfläche räumt er mit extremistischen Akteuren in der Partei auf. Doch das gelingt bisher nur begrenzt“, sagt Experte Etzold.

Immer wieder fallen Politikerinnen und Politiker, vor allem auf kommunaler Ebene, mit rassistischen und extrem rechten Parolen auf. In einem geleakten Chat sprachen Schwedendemokraten laut Medienberichten davon, das Land von „Verrätern zu befreien“ und von „invasiven artfremden Feinden“. Eine Blume ist heute das Symbol der Schwedendemokraten. Lange Zeit ist es eine Fackel gewesen. Zu manchen Parolen passt dieses Logo noch heute besser.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.