Berlin. Die „Sea-Watch 3“ hat in Italien angelegt, Die Kapitänin wurde zwischenzeitlich verhaftet. Wie ist die Rechtslage bei Seenotrettungen?

Der Fall Carola Rackete beschäftigte Europa – die Kapitänin hat mit der „Sea-Watch 3“ Flüchtlinge aus dem Meer gerettet und in Italien angelegt. Ihre Festnahme dort führte zu einer Debatte um Recht und Unrecht der Rettungsaktionen auf dem Mittelmeer.

Darüber, ob Rackete alles richtig gemacht hat, sollen Gerichte in Italien entscheiden – vorerst wurde ihr Hausarrest aufgehoben, sie dufte das Land verlassen, das Schiff wurde beschlagnahmt.

Fragen und Antworten zur Seenotrettung.

Was ist überhaupt Seenot?

Laut des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages wird von Seenot gesprochen, „wenn die begründete Annahme besteht, dass ein Schiff und die auf ihm befindlichen Personen ohne Hilfe von außen nicht in Sicherheit gelangen können und auf See verloren gehen“.

Ist Seenotrettung Pflicht für Kapitäne?

Ja. Es ist Völkerrecht, dass Nationalstaaten Regelungen dafür treffen müssen. Eindeutig und uninterpretierbar wurde das 1910 auf der Seerechtskonferenz in Brüssel geklärt. Entstanden ist dort das „Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Hilfeleistung und Bergung in Seenot“. Artikel 11:

• „Jeder Kapitän ist verpflichtet, allen Personen, selbst feindlichen, die auf See in Lebensgefahr angetroffen werden, Beistand zu leisten, soweit er dazu ohne ernste Gefahr für sein Schiff und für dessen Besatzung und Reisende imstande ist.“

Dem ZDF erklärte Valentin Schatz vom Lehrstuhl für Internationales Seerecht an der Universität Hamburg, dass es wäre dabei „völlig egal, aus welchen Gründen das Schiff in eine Notlage geraten“ sei.

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Durfte Italien das Einlaufen in den Hafen von Lampedusa verbieten?

Ja. Küstenstaaten können dies untersagen, nicht jeder darf überall einlaufen. Italien hat sich entschieden, vorerst keine zivilen Rettungsorganisationen zuzulassen – und somit auch der „Sea-Watch 3“ das Einlaufen zu verwehren.

Warum wehrte sich Italien so gegen das Anlegen des Schiffes?

Carola Rackete aus Kiel, deutsche Kapitänin der „Sea-Watch 3“, rettete Flüchtlinge aus Seenot.
Carola Rackete aus Kiel, deutsche Kapitänin der „Sea-Watch 3“, rettete Flüchtlinge aus Seenot. © dpa | Till M. Egen

Weil man die Flüchtlinge offenbar nicht wollte. Zurückschicken hätte das Land sie nicht können. „Nach Art. 33 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention 11 darf kein Vertragsstaat einen Flüchtling in Gebiete aus- oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einerbestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde“, heißt es beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags.

Im größeren Rahmen geht es um Fragen wie die indirekte Legitimierung der Seenotrettung Geflüchteter, in denen Kritiker eine Art Absicherung für Schlepper sehen. Diese kümmern sich noch weniger um den Verbleib jener, die für eine Bootsflucht gezahlt haben, weil sie ja wüssten, dass irgendwer sie schon retten würde.

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Was hat es mit dem Nothafenrecht auf sich?

Das ist ein Völkergewohnheitsrecht. Bei „juraforum.de“ wird dies folgendermaßen definiert:

• Völkergewohnheitsrecht ist eine Form ungeschriebenen Völkerrechts, das durch allgemeine Übung, getragen von der Überzeugung der rechtlichen Verbindlichkeit der Norm, entsteht.

Das Nothafenrecht basiert also auf der Gewohnheit, dass Menschen, deren Leben davon abhängt, das Einlaufen in einen sicheren Hafen nicht verwehrt werden kann. Nun ist das natürlich Auslegungssache – denn wann hängt ein Leben genau davon ab.

Streitbar ist, ob Rackete, die vorerst in Italien bleiben muss, und die Geflüchteten nicht außerhalb eines Hafens hätten versorgt werden können, etwa mit Lieferungen von anderen Schiffen. Es war offenbar nicht so, dass Passagiere zum Beispiel ohne medizinische Versorgung sofort gestorben werden – und jene, bei denen es Probleme gab, wurden auch an Land gebracht.

Darauf werden sich sicher auch die italienischen Behörden berufen – und Rackete versuchen abzusprechen, in einer wirklichen Notlage ohne andere Möglichkeiten gewesen zu sein.

Dem ZDF erklärte Seerecht-Spezialist Schatz: „Anders wäre es gewesen, wenn akute Lebensgefahr für Personen an Bord bestanden hätte und man die Passagiere nicht über Boote oder Hubschrauber hätte evakuieren können.“ (ses)