Berlin. Beim Treffen der Außenminister von Russland und der Ukraine soll es um die Gefahren eines Atomunfalls gehen. Die Sorge ist international groß.

  • Im Krieg in der Ukraine greift Russland auch Atomkraftwerke an
  • Die Internationalen Atomenergiebehörde hat die Verbindung zu Tschernobyl verloren
  • Wie gefährlich ist der Kampf um die Atomkraftwerke?

Bei den Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine in der Türkei am ging es um Fragen von Krieg und Frieden – und einer möglichen nuklearen Katastrophe. Aus dem Kriegsgebiet kommen besorgniserregende Nachrichten hinsichtlich der Sicherheit ukrainischer Kernkraftanlagen. In der türkischen Küstenstadt Antalya haben am Donnerstag der russische Außenminister Sergej Lawrow und der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba beraten. Außerdem nahm der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Mariano Grossi, an den Gesprächen teil.

Das Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow sei kon­struktiv gewesen, schrieb Grossi auf Twitter. Konkrete Ergebnisse wurden nicht bekannt.

Grossi hatte Sicherheitsgarantien für die ukrainischen Atomkraftwerke und andere Einrichtungen mit Atom-Material vorgeschlagen, um einen schweren Atomunfall zu vermeiden. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warnte: „Die Sicherheit und Integrität der AKWs in der Ukraine sind enorm wichtig. Für uns alle. Sie dürfen niemals Ziel von Kampfhandlungen sein.“

Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Mariano Grossi.
Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Mariano Grossi. © AFP | JOE KLAMAR

Russische Soldaten kontrollieren Tschernobyl

Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine ist international die Sorge um die Atomanlagen groß. In der Ukraine gibt es neben Tschernobyl 15 Atomreaktoren zur Stromgewinnung, drei Forschungsreaktoren und weitere Nuklearanlagen.

Greenpeace geht davon aus, dass die russischen Truppen versuchen, als Nächstes das Kraftwerk Juschnoukrajinsk in der Südukraine einzunehmen. Die dortigen Reaktoren erzeugen im Durchschnitt zehn Prozent des in der Ukraine benötigten Stroms, heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichten Studie der Umweltschutzorganisation.

Die russische Armee nahm zunächst das Atomkraftwerk Tschernobyl ein, wo es 1986 zu einem verheerenden Atomunfall kam. Einige Tage später brachte Russland auch das größte europäische Atomkraftwerk in der Ukraine, Saporischschja, unter seine Kontrolle. Dabei kam es zu einem Brand auf dem Kraftwerksgelände der Befürchtungen auslöste, dass auch die Reaktoren durch die Kämpfe beschädigt worden sein könnten, die sich jedoch nicht bestätigten.

Verbindung zu Tschernobyl verloren

Am Mittwoch alarmierte die ukrainische Regierung, dass die Stromversorgung des Akw Tschernobyl durch die Kämpfe gekappt worden sei. Eine Reparatur ist wegen der Kampfhandlungen aktuell nicht möglich. Das Kraftwerk werde nur noch für 48 Stunden durch mit Diesel betriebene Notstromgeneratoren versorgt, dann werde das Kühlsystem für verbrauchte Brennstäbe ausfallen, wodurch es zu einem Austritt von Radioaktivität kommen könne. „Putins barbarischer Krieg bringt ganz Europa in Gefahr“, warnte Kuleba auf Twitter.

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Die IAEA gab jedoch zunächst Entwarnung, sie sehe keine kritischen Auswirkungen auf die Sicherheit. Die Internationalen Atomenergiebehörde hat die Verbindung zu den Überwachungssystemen in Tschernobyl verloren. Sorge gibt es auch um das Personal in dem Kraftwerk. Der IAEA zufolge sind 210 Techniker und lokale Sicherheitsmitarbeiter seit fast zwei Wochen ununterbrochen im Dienst, weil es unter russischer Kontrolle keinen Schichtwechsel mehr gegeben habe. Sie hätten zwar Wasser und Nahrung, aber ihre Lage verschlechtere sich.

Ein Schutzbau bedeckt den explodierten Reaktor im Kernkraftwerk Tschernobyl.
Ein Schutzbau bedeckt den explodierten Reaktor im Kernkraftwerk Tschernobyl. © dpa | Efrem Lukatsky

Atomkraftwerke in der Ukraine: Warnung vor schmutzigen Bomben

Die schlechten Nachrichten reißen aber nicht ab: Inzwischen ist nach dem Kontakt zu Tschernobyl auch die Verbindung der IAEA zum Atomkraftwerk Saporischschja verloren gegangen. Die Behörde bezeichnete dies als besorgniserregend. „Die Fernübertragung von Daten aus den IAEA-Überwachungsanlagen an Nuklearstandorten auf der ganzen Welt ist ein wichtiger Bestandteil unserer Überwachungsmaßnahmen“, erklärte Grossi. Die Datenleitungen „ermöglichen es uns, Kernmaterial und Aktivitäten an diesen Standorten zu überwachen, wenn unsere Inspektoren nicht anwesend sind“.

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Die IAEA weiß also aus der Ferne nicht, in welchem Zustand die Systeme sind. Die Aufsichtsbehörde habe Kameras in allen Atomkraftwerken, um jedes einzelne Brennelement zu überwachen, erläutert Heinz Smital, Greenpeace-Experte für Atomenergie. "Da geht es auch um die Entwendung von hoch radioaktivem Material zum Bau von schmutzigen Bomben", sagte Smital unserer Redaktion. „Wenn diese Kontrolle fehlt, dann ist das schon ein wesentlicher blinder Fleck.“

Ganz im Dunkeln tappen die Behörden trotzdem nicht, sagte Florian Gering, Leiter der Abteilung für radiologischen Notfallschutz beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Denn neben den Messsonden am Kraftwerk hätten sowohl die ukrainischen Behörden als auch NGOs Sonden in der weiteren Umgebung von Saporischschja. "Zum Glück ist bislang keine erhöhte Strahlung festzustellen", sagte Gering.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Angriff auf Atomkraftwerke: Wie gefährlich kann es für Deutschland werden?

Was ein Atomunfall in der Ukraine für Deutschland bedeuten würde, hat das Bundesamt für Strahlenschutz in der Vergangenheit als Szenario durchgespielt. Ein ganzes Jahr lang habe man das Wettergeschehen in Saporischschja verfolgt und ausgewertet, sagte Gering unserer Redaktion. "Nur in 17 Prozent der Wetterlagen in diesem Jahr wäre der Wind so ausgerichtet gewesen, dass Deutschland betroffen wäre."

In diesen Fällen, wo radioaktives Material aus der Ukraine bis zu uns getragen werden würde, müsste man laut Bundesamt mit einer Belastung der Umwelt rechnen, vor allem des Bodens. Die wäre aber auf so geringem Niveau, dass Katastrophenschutzmaßnahmen nicht notwendig gewesen wären, sagte Gering. "Die Maßnahmen hätten sich stark auf die Landwirtschaft konzentriert. Nahrungsmittel, die nach einem Unfall geerntet würden, müssten eng überwacht und gegebenenfalls vom Markt genommen werden."