Peking. Der Abschluss des Spionage-Ballons belastet das Verhältnis von China und den USA weiter. In Peking hat man eine ganz eigene Lesart.

Das Verhältnis zwischen den beiden Weltmächten China und USA ist ohnehin in jeder Hinsicht kompliziert. Nach dem Abschuss eines mutmaßlichen Spionageballons durch die USA-Armee in der Nacht zu Sonntag verhärten sich die Fronten weiter. Beide Seiten überziehen sich gegenseitig mit Vorwürfen. Für die chinesische Seite ist die Affäre besonders unangenehm: Hinter den Kulissen, so vermuten Beobachter in Peking, dürfte sie einigen Ministerialbeamten und Militärs die Karriere kosten.

Nach außen freilich lässt die chinesische Regierung keinerlei Bedauern erkennen. Stattdessen geht sie rhetorisch in die Offensive. „Einige amerikanische Politiker und Medien nutzen die Situation nur aus, um China zu verleumden“, hieß es in einer ersten Stellungnahme des Außenministeriums.

Der politische Schaden ist aber da. China und die USA sind die mächtigsten Staaten des Planeten und betrachten sich als strategische Rivalen. Es geht um politischen Einfluss im Pazifik-Raum, in Afrika und anderswo. Es geht um Technologieführerschaft und den Wettstreit zweier sehr unterschiedlicher Gesellschaftssysteme. Amerikas Sicherheitsgarantien für Taiwan betrachtet Peking als Einmischung in die inneren Angelegenheiten.

China und USA: Spionage seit vielen Jahren gang und gäbe

Zuletzt hatte es diplomatische Bemühungen zur Entspannung des komplizierten Verhältnisses gegeben: US-Außenminister Antony Blinken wollte ursprünglich am Sonntag in Peking Staatspräsident Xi Jinping sowie dem führenden Außenpolitiker Wang Yi treffen. Diesen Besuch sagte Blinken aber ab, nachdem der Ballon über dem amerikanischen Luftraum entdeckt worden war. Das Vorgehen Chinas sei „unverantwortlich“ und eine „klare Verletzung der amerikanischen Souveränität und des internationalen Rechts“, hieß es zur Begründung aus Washington nach einem Telefonat Blinkens mit Wang Yi.

Tritt man einmal einen Schritt zurück, so lässt sich feststellen, dass sich China und die USA seit vielen Jahren gegenseitig auf allen erdenklichen Ebenen ausspionieren. Und zwar meist mit ausgeklügelteren Mitteln als einem antiquierten Überwachungsballon.

Insofern wäre es wohl vermutlich auch möglich gewesen, die Affäre gesichtswahrend für beide Seiten stillschweigend zu den Akten zu legen. Dies hätte aber wahrscheinlich vorausgesetzt, dass die chinesische Regierung aufrichtig Reue zeigt und transparent kommuniziert. Lesen Sie hier: Thinktank zerstreut den Mythos des dominanten Chinas

China: Ballon angeblich durch „höhere Gewalt“ über USA geflogen

Chinas erste Reaktion, bei dem Flugobjekt handele es sich um eine Art meteorologischen Forschungsballon, der aufgrund von starken Westwinden von seiner geplanten Route abhandengekommen sei, wertete Washington offensichtlich als Lüge. „Wir wissen, dass es ein Überwachungsballon ist“, entgegnete unbeirrt ein Sprecher des Pentagons. Aus Peking hieß es, China habe die USA wiederholt informiert, dass der Ballon zivilen Zwecken diene und „durch höhere Gewalt“ über die USA geflogen sei, „was völlig zufällig war“.

Tatsächlich spricht viel für die amerikanische Lesart: Es müsste schon ein großer Zufall gewesen sein, dass der Ballon im dünn besiedelten Bundesstaat Montana ausgerechnet über einen US-Luftwaffenstützpunkt flog, an dem 150 mit Atomsprengköpfen bestückte Interkontinentalraketen gelagert sind. Zudem hatte Washington in den letzten Jahren mindestens drei ähnliche Spionage-Fälle aus China registriert, diese jedoch zuvor nicht öffentlich gemacht.

Als US-Außenminister Anthony Blinken seinen geplanten China-Besuch am Freitag absagte, stritt Peking kurzerhand in einer schriftlichen Aussendung ab, dass es überhaupt jemals einen „offiziell geplanten Besuch“ gegeben habe. Auch Wang Yi, immerhin der führende Außenpolitiker der Volksrepublik, ließ bei seinem am Samstag erfolgten Telefonat mit Blinken keinerlei Selbstkritik erkennen: „Wir akzeptieren keine grundlosen Spekulationen und Stimmungsmache“. Kommentar: USA und China – Die Welt braucht keinen neuen Krieg

USA und China: Beziehungen so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr

Und nachdem US-Präsident Joe Biden den Spionage-Ballon abschießen ließ, protestierte die chinesische Regierung erneut: Man sprach von einer „Überreaktion“ und einen „Verstoß gegen internationale Praxis“. Ein Sprecher des chinesischen Verteidigungsministeriums sagte, man behalte sich vor, „in ähnlichen Situationen notwendige Mittel einzusetzen“.

Die chinesischen Staatsmedien betreiben derzeit sogar eine Art Täter-Opfer-Umkehr: Angesichts der rüden Schuldzuweisungen gegenüber den USA lesen sie sich so, als ob am Wochenende ein US-amerikanisches Flugobjekt in den chinesischen Luftraum eingedrungen wäre.

Die Folgen einer solchen Kommunikation könnten angesichts der ohnehin sehr angespannten Beziehungen zwischen Peking und Washington zunehmend gefährlich werden. Die Atmosphäre ist derart aufgeladen, dass jeder diplomatische Streitfall potenziell in eine militärische Eskalation ausarten könnte. Um die bilateralen Beziehungen steht es so schlecht wie seit zu Beginn der 1990er Jahre nicht mehr. Es fehlt auch an Gesprächskanälen: China hat derzeit noch nicht einmal einen Botschafter in Washington. Der bisherige Botschafter Qin Gang war im Dezember zum Außenminister in Peking ernannt worden. Seitdem ist die Stelle in der US-Hauptstadt vakant.

Der Ballon wurde von einer infrarotgesteuerten Luft-Luft-Rakete des Typs AIM-9X Sidewinder von einem F-22-Kampfflugzeug aus einer Höhe von 58.000 Fuß (etwa 17,7 km) in der Nähe von Myrtle Beach abgeschossen.
Der Ballon wurde von einer infrarotgesteuerten Luft-Luft-Rakete des Typs AIM-9X Sidewinder von einem F-22-Kampfflugzeug aus einer Höhe von 58.000 Fuß (etwa 17,7 km) in der Nähe von Myrtle Beach abgeschossen. © dpa | Chad Fish

Peking und Washington: Neuer Ärger zeichnet sich bereits ab

Und neuer Ärger zeichnet sich bereits ab: Kevin McCarthy, der neue Sprecher des US-Repräsentantenhauses, dürfte sich durch Ballon-Vorfall wohl erst recht ermutigt fühlen, seinen geplanten Taiwan-Besuch in die Tat umzusetzen – nicht zuletzt, um damit bei seiner Kernwählerschaft zu punkten. Als seine Vorgängerin Nancy Pelosi im vergangenen Sommer Taipeh besuchte, reagierte Peking mit einer simulierten Inselblockade und wüsten Drohungen. Reist auch McCarthy nach Taiwan, könnte Chinas Replik wohl noch eine Spur martialischer ausfallen.

Unterdessen teilte die Armee Kolumbiens mit, dass auch im Luftraum des südamerikanischen Landes ein verdächtiges Objekt gesichtet worden sei. Es habe „ähnliche Eigenschaften wie ein Ballon“ gezeigt und sich mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 Knoten bewegt, hieß es. Nach Angaben der kolumbianischen Luftwaffe wurde das Objekt bereits am 3. Februar in rund 17.000 Meter Höhe entdeckt. Es sei im nördlichen Sektor des Landes in den nationalen Luftraum eingedrungen. Die Luftwaffe habe das Objekt verfolgt, bis es den Luftraum wieder verlassen habe. Es habe keine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die Flugsicherheit bestanden.

Bereits am vergangenen Freitag hatte ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums gesagt, dass es möglicherweise noch einen zweiten Spionageballon gebe, der über Lateinamerika schwebt.