Rheda-Wiedenbrück. Nach fast vierwöchigem Produktionsstopp bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück darf das Unternehmen wieder Schweine schlachten. Die Weiterverarbeitung wollen sich die Behörden aber noch genauer anschauen.

Aufatmen bei den Schweinemästern, mahnende Stimmen aus der Politik: Nach dem Corona-Ausbruch bei Deutschlands größtem Schlachtbetrieb Tönnies in Rheda-Wiedenbrück darf das Unternehmen ab sofort wieder schlachten.

Die Behörden haben einen eigentlich bis Freitag geltenden Produktionsstopp aufgehoben, wie die Stadt mitteilte. Tönnies kündigte an, Donnerstag wieder in Rheda-Wiedenbrück schlachten zu wollen. Ab den frühen Morgenstunden würden die ersten Tiere angeliefert, sagte ein Konzernsprecher.

Eine Genehmigung für den zweiten Produktionsschritt ist allerdings noch offen. Für die Zerteilung der Tiere hat die Stadt vorerst noch keine Genehmigung erteilt. Hier soll es am Donnerstag zunächst nochmals eine Begehungen der Behörden geben. Gutachter sollen sich beispielsweise Trennelemente aus Plexiglasscheiben anschauen, die die Arbeiter bei der schweren körperlichen Arbeit voneinander trennen. Am Freitag soll der Bereich nach Angaben der Stadt im Probebetrieb wieder aufgenommen werden.

Der Tönnies-Standort hatte in den vergangenen Wochen bundesweit Schlagzeilen gemacht, weil sich rund 1400 Mitarbeiter, darunter viele Werksarbeiter, mit dem Virus Sars-Cov-2 infiziert hatten. Während im restlichen Bundesgebiet die Corona-Maßnahmen deutlich gelockert wurden, hatte die Bevölkerung in den Kreisen Gütersloh und Warendorf deshalb erneut weitgehende Einschränkungen des Alltags hinnehmen müssen. Betroffen waren zeitweise rund 640.000 Einwohner. Einige Urlaubsregionen verweigerten Urlaubern aus der Region die Anreise. In den eiligst aufgebauten Testzentren gab es einen Ansturm, um sich negative Testergebnisse für die Sommerferien ausstellen zu lassen.

Tönnies schlachtet am Hauptsitz in Ostwestfalen im Normalbetrieb pro Tag je nach Marktlage zwischen 20.000 und 25.000 Schweine. 30.000 sind von den Behörden genehmigt. Durch den Produktionsstopp in Deutschlands größtem Schlachtbetrieb hatte sich ein Stau bei den Schweinemästern gebildet. Sie wurden ihre Tiere nicht los, und in den Ställen wurde der Platz eng. Die Vertrags-Lieferanten, rund 20 Prozent, konnten auf andere Tönnies-Standorte im Emsland (Sögel), Schleswig-Holstein (Kellinghusen) und Sachsen-Anhalt (Weißenfels) ausweichen. Die anderen Mäster mussten sich auf dem freien Markt neue Schlachthöfe suchen.

Die Stadt Rheda-Wiedenbrück kündigte an, den Schlachtbetrieb bei Tönnies künftig intensiver zu kontrollieren. Auch auf die massiv in die Kritik geratene Unterbringung der Werkarbeiter will die Stadt ein besonderes Auge haben. Bei landesweiten Überprüfungen von Unterkünften für Arbeiter der Fleischindustrie waren zuletzt in NRW zahlreiche Mängel festgestellt worden - von Schimmelpilzen in armseligen Behausungen, undichten Dächern bis hin zu überbelegten oder sogar einsturzgefährdeten Gebäuden, wie NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) berichtete.

Nach dem Neustart bei Tönnies fordert Nordrhein-Westfalens Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) eine Kehrtwende. "Ein "Weiter so" kann und darf es nicht geben - zum Schutze der Menschen und zum Schutze der Tiere", sagte sie am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf. "Wir müssen jetzt die Weichen neu stellen und vom Stall bis zur Ladentheke neujustieren."

Wenn der Ausfall eines Glieds reiche, die ganze Kette ins Stocken zu bringen, sei das System nicht gesund. "Dies muss ein Weckruf sein." Tönnies stelle allein etwa 40 Prozent der Schlachtkapazität in NRW. "Man muss sich auch mal angucken, ob wirklich im Akkord geschlachtet und zerlegt werden muss", sagte die Ministerin. Am Freitag beschäftigt sich der Landwirtschaftsausschuss des NRW-Landtags in einer Sondersitzung mit der Lage.

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