Washington. Trump droht dem türkischen Präsidenten Erdogan mit Sanktionen. Die Nato-Staaten der EU könnten in einen Krieg hineingezogen werden.

Der für Mitte November vorgesehene Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Erdogan im Weißen Haus, sollte er denn wirklich stattfinden, würde im Licht der Eskalation zwischen Türken und Kurden in Syrien zum parteiübergreifenden Tribunal über die Politik Donald Trumps.

Mehrere Kongress-Abgeordnete fordern nach dem von Erdogan angeordneten Einmarsch in Nordsyrien und der damit verbundenen blutigen Vertreibung der Kurden, der Trump in einem Telefonat Anfang Oktober nichts entgegensetzte, die Absage der Visite.

USA kündigen brachiale Sanktionen gegen Türkei an

Zur Stimmungslage passt, dass im Parlament mit Hochdruck an wirtschaftlichen Strafmaßnahmen gegen Ankara gearbeitet wird. Der einflussreiche republikanische Senator Lindsey Graham kündigte am Montag im US-Fernsehen brachiale Sanktionen gegen Erdogan an, der nach übereinstimmender Auffassung in Washington in Nordsyrien einen langjährigen US-Alliierten, die Kurden-Milizen der YPG, auslöschen will.

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    Seit Beginn der Offensive am vergangenen Mittwoch sind nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen und internationalen Beobachtern Hunderte Kurden getötet und weit über 100.000 Menschen in die Flucht getrieben worden. Graham sagte, die USA würden Erdogans „Wirtschaft brechen, bis er das Blutvergießen beendet“.

    Wie? Details sind nicht bekannt. Republikaner vergleichen die Pläne inoffiziell mit den Sanktionen, die gegen den Iran verhängt wurden. Das hieße: Washington friert das US-Vermögen hoher Regierungsmitglieder bis hin zu Staatspräsident Erdogan ein, stellt Rüstungsgeschäfte mit Ankara unter Strafe und stranguliert nach und nach die Ökonomie des Nato-Partners, um ihn zur Kurskorrektur zu zwingen.

    Trump machte Krieg gegen Kurden erst möglich

    Diese Strategie wird offenbar von Trump unterstützt, der mit dem Rückzug von zunächst 50 Spezialeinsatzkräften vor der türkischen Invasion in Nordsyrien die aktuelle Krise erst ausgelöst hatte. „Große Sanktionen gegen die Türkei kommen!“, twitterte er am Montag. Noch am Abend folgte eine Mitteilung Trumps, dass wegen der „destabilisierenden Handlungen der Türkei in Nordost-Syrien“ Strafzölle auf Stahlimporte aus der Türkei wieder auf 50 Prozent angehoben würden.

    Amerika habe in „teuren, endlosen Kriegen“ nichts mehr zu suchen, wiederholte Trump eines seiner Argumente. Zuvor hatte Trump am Wochenende angeordnet, sämtliche 1000 US-Soldaten aus dem Bürgerkriegsland abzuziehen.

    Dadurch soll verhindert werden, so Verteidigungsminister Mark Esper, dass amerikanische Streitkräfte in die Schusslinie geraten, wenn sich Türken und Kurden bekämpfen; letztere dabei neuerdings unterstützt in einer über Nacht entstandenen Allianz mit Truppen des syrischen Diktators Assad. Esper sagt nicht, in welchem Zeitraum der Rückzug vonstatten gehen soll.

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      Nato-Staaten könnten in den Krieg verwickelt werden

      Die Entwicklung hat in der Europäischen Union, wo die Außenminister gestern die türkische Offensive „verurteilten“, sich aber nicht auf ein einheitliches Waffenembargo gegen Ankara einigen konnten, große Sorgen ausgelöst. Wenn die Türkei und Syrien in einen Konflikt geraten, so deutete der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn an, könnten die Nato-Staaten unfreiwillig in den Krieg hineingezogen werden.

      Die Türkei genießt im westlichen Militärbündnis wie alle anderen 28 Mitglieder die Prinzipien des Beistandspakts. Auf die Forderung der EU, Ankara müsse die Militär-Operation gegen die Kurden unverzüglich einstellen, reagierte die türkische Regierung nicht nur mit Ablehnung. Erdogan machte deutlich, dass man gemeinsam mit syrisch-arabischen Milizen den Kurden die Kontrolle über wichtige nordsyrische Städte wie Manbidsch und Kobane entreißen wolle.

      Inhaftierung Zehntausender IS-Kämpfer gefährdet

      Unterdessen sieht sich Präsident Trump innenpolitisch wachsendem Druck ausgesetzt, seine Haltung zu korrigieren und der Aggression Erdogans gegen die Kurden Einhalt zu gebieten. Ein Argument dabei lautet, dass die bisher von den Kurden beaufsichtigte Inhaftierung von über 10.000 IS-Kämpfern nicht länger gewährleistet sei.

      So seien zuletzt 800 Menschen aus einem Lager bei Ain Issa geflohen. Erdogan bezeichnete die Angaben als „Desinformation“. Trump hingegen versucht, den Kurden die Schuld in die Schuhe zu schieben. Sie hätten IS-Kämpfer entkommen lassen, schrieb er ohne jeden Beleg auf Twitter, um Amerika wieder in den langjährigen Konflikt zu ziehen. Seine Botschaft: Nicht mit mir.