Berlin. Seit Jahren beschwört Erdogan eine Türkei, die keine Verbündeten braucht. Doch die Erdbebenkatastrophe bringt dieses Bild ins Wanken.

Die Erdbebenkatastrophe nimmt apokalyptische Ausmaße an. Mehr als 37.000 Tote wurden bisher geborgen – und es werden täglich mehr. 13 Millionen Menschen sind allein in der Türkei betroffen, fast noch einmal so viele in Syrien. Jedes Land wäre mit einem Desaster diesen Ausmaßes überfordert.

Für Staatschef Recep Tayyip Erdogan bedeutet das Beben eine Zeitenwende. Seit Jahren kultivierte er das Bild eines stolzen, starken Landes, das keine Freunde braucht. Er selbst stilisierte sich als Führer, der die Mächtigen der Welt nach seiner Pfeife tanzen lässt. Erdogan unterläuft die Sanktionen des Westens gegen Russland, blockiert die Norderweiterung der Nato und droht dem Nachbarn Griechenland mit Raketenangriffen.

Türkei: Erdogan setzt auf Repressionen

Gerd Höhler ist Auslandskorrespondent der Funke Mediengruppe.
Gerd Höhler ist Auslandskorrespondent der Funke Mediengruppe. © Netzhaut | Dirk Hoppe

Jetzt muss der türkische Staatschef erkennen, dass sein Land Hilfe braucht. Und die Hilfsbereitschaft ist überwältigend: über 10.000 Retter aus mehr als 80 Ländern sind im Einsatz. Als eines der ersten Länder schickte der „Erbfeind“ Griechenland wenige Stunden nach dem Beben Rettungskräfte in die Südosttürkei.

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Welche Schlussfolgerungen zieht Erdogan? Geht Erdogan nun auf die Opposition, die Nachbarn und die Nato-Partner zu? Er hätte die Chance. Aber leider gibt es dafür bisher keine Anzeichen.

Die Regierung sperrte Twitter und nahm damit Überlebenden und Rettern einen wichtigen Kommunikationskanal. Dutzende Menschen, die in den sozialen Netzwerken auf Missstände aufmerksam machten, wurden bereits festgenommen.

Nur mit Repressionen glaubt Erdogan offenbar die Wahlen Mitte Mai bestehen zu können. Ob seine Rechnung aufgeht, wird sich zeigen. Das politische Erdbeben könnte dem Staatschef noch bevorstehen.