Berlin. Erdoğan hat im Nordirak eine türkische Militäroffensive gegen die kurdische PKK gestartet. Er will auch in Syrien „Köpfe zermalmen“.

  • Die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft auf den Krieg in der Ukraine scheint der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ausnutzen zu wollen
  • Er hat eine Militäroffensive im Nordirak gestartet. Sein Ziel: Die kurdische PKK
  • Seit Jahrzehnten attackiert die Türkei die Stellungen der PKK im Nordirak

Während die Welt auf die Ukraine blickt, startet die Türkei eine neue Militäroffensive im Nordirak. Dort befindet sich das Hauptquartier der kurdischen PKK. Die Organisation steht in der Türkei, Europa und den USA auf der Terrorliste. Staatschef Recep Tayyip Erdoğan geht es diesmal um mehr als eine weitere Strafaktion gegen die kurdischen Rebellen im Nordirak.

Mindestens 26 Kämpfer der kurdischen PKK seien bei der am Montag begonnenen türkischen Offensive in den nordirakischen Kandil-Bergen bereits „neutralisiert“ worden, teilte das Verteidigungsministerium in Ankara mit.

Türkei attackiert Stellung der PKK seit Jahrzehnten

Die Militäroperation unter dem Codenamen „Krallenschloss“, an der Bomber, Kampfhubschrauber, Drohnen und Bodentruppen beteiligt sind, ist offenbar mit dem Präsidenten der kurdischen Autonomieregion im Nordirak, Masrur Barsani, abgestimmt. Er traf vergangenen Freitag mit Erdoğan zusammen. Die irakischen Kurden unterhalten enge Beziehungen zur Türkei.

Seit Jahrzehnten attackiert die Türkei die Stellungen der PKK im Nordirak. Verteidigungsminister Hulusi Akar sagte am Dienstag im westtürkischen Bursa, die PKK stehe „vor dem Zusammenbruch“. Abgehörten Funksprüchen der Rebellen sei zu entnehmen, dass die Organisation „desintegriere“, so Akar. Die türkische Armee kämpft seit 1984 gegen die PKK, ohne allerdings bisher einen endgültigen militärischen Sieg erreicht zu haben.

Recep Tayyip Erdogan nimmt an einer Pressekonferenz teil.
Recep Tayyip Erdogan nimmt an einer Pressekonferenz teil. © dpa

Die türkischen Militäroperationen im Nordirak finden vor allem im Frühjahr während der Schneeschmelze statt. Dabei geht es darum, die Infrastruktur und die Nachschubwege der Organisation zu treffen und so ein Einsickern der kurdischen Rebellen in die Türkei während der kommenden Frühlings- und Sommermonate zu verhindern. Die PKK stößt immer wieder aus ihren Lagern im Nordirak in die Südosttürkei vor, um dort Anschläge zu verüben.

Türkei beruft sich auf Recht zur Selbstverteidigung

Im türkischen Verteidigungsministerium hieß es, man sei mit der Offensive einem „geplanten groß angelegten Angriff“ der PKK zuvorgekommen. Verteidigungsminister Akar sagte, der Einsatz werde in den kommenden Tagen verstärkt. „Unser Kampf wird weitergehen, bis der letzte Terrorist neutralisiert ist“, kündigte Akar an.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Diese Militäroperationen sind inzwischen ebenso Routine wie die Proteste der irakischen Zentralregierung in Bagdad. Der Einsatz sei „inakzeptabel“, verletze die Souveränität des Irak und bedrohe die nationale Sicherheit, heißt es in der irakischen Protestnote. Die Türkei beruft sich bei diesen Offensiven auf ihr Recht zur Selbstverteidigung und das völkerrechtliche Prinzip der sogenannten Nacheile. Sie erlaubt die Verfolgung Flüchtender auch über die nationalen Grenzen hinweg.

Bei der Offensive gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK kommen auch Kampfjets zum Einsatz (Archivbild).
Bei der Offensive gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK kommen auch Kampfjets zum Einsatz (Archivbild). © dpa

Erdogan könnte den Ukraine-Krieg für seine Ziele nutzen

Diesmal dürfte es bei der Offensive aber um mehr gehen, als die üblichen Angriffe auf die PKK-Infrastruktur im Nordirak. Erdoğan kündigte am Mittwoch an, die Türkei werde nun auch in Syrien „die Köpfe der Terrororganisation zermalmen“. Beobachter erwarten daher neue Militäroperationen im bereits teilweise türkisch besetzten Nordsyrien gegen den dortigen Ableger der PKK, die Volksbefreiungseinheiten YPG.

Sie strebt eine Autonomieregion an der Grenze zur Türkei an. Ankara will das verhindern. Erdoğan könnte dabei den Windschatten des Ukraine-Krieges nutzen. In Syrien stehen die Türkei und Russland auf unterschiedlichen Seiten. Wenn Russland – wofür es Anzeichen gibt – Soldaten und Söldner aus Syrien in die Ukraine verlegt, bekäme die Türkei dort mehr militärischen Spielraum. Kurdische Quellen berichten bereits von verstärkten türkischen Truppenbewegungen in Nordsyrien.

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de.