Berlin. In 40 Tagen werden Ukrainer in Deutschland an der Panzerhaubitze 2000 ausgebildet. Dann kehren sie in den Krieg gegen Russland zurück.

Rhinozeros, Stier oder Nashorn waren bei der Bundeswehr als Name für die Haubitze im Gespräch. Schließlich gibt die Truppe allen ihren Fahrzeugen Tiernamen. Ein weiterer Vorschlag lautete, das 57 Tonnen schwere Artilleriegeschütz mit seinem acht Meter langen Kanonenlauf Rüssel zu nennen. Da man sich aber nicht einigen konnte, blieb es bei der schlichten Werksbezeichnung Panzerhaubitze 2000. In diesen Tagen bildet die Bundeswehr in Deutschland 18 ukrainische Besatzungen an dem hochmodernen Geschütz aus.

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Das Stahlgefährt prescht über eine Anhöhe, die Erde wird vom Kettenantrieb aufgewühlt. Feuert die Besatzung eins der 155-Millimeter-Geschosse ab, erzittert die Hightech-Kanone von der Wucht des Rückstoßes, so zeigt es ein Bundeswehrvideo zu spannungsgeladener Musik: „Wenige Geschütze erzielen eine so immense Wirkung.“

Ukraine-Krieg: Die Haubitze feuert drei Schuss in zehn Sekunden ab

Die Haubitze kann drei Schuss in zehn Sekunden abfeuern mit einer Reichweite von bis zu 40 Kilometern. Das Geschütz ist wendig und kann schnell die Position wechseln. „Die Panzerhaubitze unterstützt mit ihrem Artilleriefeuer den Feuerkampf der Kampftruppen“, heißt es in dem Video weiter.

Soldaten der Bundeswehr an einer  Panzerhaubitze 2000.
Soldaten der Bundeswehr an einer Panzerhaubitze 2000. © Getty Images | Morris MacMatzen

Schießen, fahren, manövrieren, das bekommen die ukrainischen Soldaten an der Artillerieschule in Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz beigebracht, die Techniker lernen an der Schule des Heeres in Aachen. Deutschland und die Niederlande arbeiten dabei zusammen, gemeinsam stellen sie der Ukraine zudem zwölf Haubitzen zur Verfügung: sieben kommen aus Deutschland, fünf aus den Niederlanden. Die Ukraine hat kampferprobte Artilleristen zur Schulung an der für sie unbekannten Waffe entsandt.

Die ukrainischen Soldaten kehren in den Krieg gegen Russland zurück

„Die kommen quasi aus dem Kriegsgeschehen“, berichtet Generalinspekteur Eberhard Zorn in einem Video-Format der Bundeswehr. „Aber schon mit dem Blick nach vorne, dass wenn die Ausbildung abgeschlossen ist, sie dann natürlich wieder in den Krieg zurückgehen.“ Der oberste Soldat der Bundeswehr hat die Ausbildung der Ukrainer kürzlich besucht. Zorn war dabei, als sie den ersten scharfen Schuss an der Haubitze abfeuerten.

Für das Training hat die Bundeswehr in den eigenen Reihen nach Soldaten gesucht, die ukrainisch sprechen, zudem wurden zivile Dolmetscher angeheuert. Für die Softwareschulung kommen deutsche, niederländische und ukrainische IT-Spezialisten hinzu.

Die Artillerieschule der Bundeswehr in Idar-Oberstein.
Die Artillerieschule der Bundeswehr in Idar-Oberstein. © dpa | Boris Roessler

„Die Geschützbesatzungen wurden hier schon vor neue Herausforderungen gestellt, weil das Geschütz tatsächlich sehr hoch technisiert ist“, schildert Zorn seinen Eindruck. Das Ausbildungsprogramm sei speziell auf die knapp 100 ukrainischen Soldaten zugeschnitten, die von Polen aus nach Deutschland geflogen wurden.

Ukraine: Ausbildung der Soldaten soll bis Ende Juni dauern

Die Standardbesatzung besteht aus einem Geschützführer, einem Kraftfahrer, einem Richtkanonier und zwei Munitionskanonieren. Die übliche Ausbildung bei der Bundeswehr dauert von drei Monaten für einen Richtkanonier bis zu 33 Monaten für den Geschützführer. So viel Zeit haben die Ukrainer nicht: Im Osten des Landes rücken die russischen Truppen vor. Die Ukrainer werden deswegen deutlich schneller trainiert: „Wir gehen im Schnitt von 40 Tagen Ausbildung aus“, sagt Zorn. Das Programm sei an die Fähigkeiten der ukrainischen Artilleristen angepasst worden. „Das sind alles erfahrene Leute.“ Lesen Sie auch: Ist die Bundeswehr den Deutschen ans Herz gewachsen?

40 Tage sind in diesem Krieg eine lange Zeit. Auf keinen Fall soll der Eindruck entstehen, dass die Bundesregierung auf der Bremse stehe: Die Dauer sei mit der Ukraine so vereinbart, betonte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) kürzlich. „Das ist auch wichtig, damit die Soldaten nicht zur Zielscheibe werden, damit sie auch entsprechend kämpfen können.“

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht.
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. © Getty Images | Staff Sean Gallup

Ende Juni sollen die Besatzungen mit den zwölf Haubitzen in die Ukraine zurückkehren. Dazu bekomme die Ukraine „Versorgungspakete“, sagt Zorn. „Also da geht Munition mit, da gehen Ersatzteilpakete mit, da geht eine entsprechende Unterstützung mit Sonderwerkzeug einher.“

Deutschland wird durch Ausbildung rechtlich nicht zur Kriegspartei

Der Bundesregierung ist wichtig, dass Deutschland mit der Ausbildung rechtlich nicht zur Kriegspartei werde. Fachleuten bestätigen die Einschätzung. „Die Ukraine darf sich mit Waffengewalt gegen diese feindliche russische Aggression verteidigen. Und hier gilt auch das Recht auf kollektive Verteidigung, das heißt, andere Staaten wie Deutschlands haben das Recht, vielleicht sogar die Pflicht, die Ukraine militärisch zu unterstützen“, sagt Christoph Safferling, Professor für Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, unserer Redaktion. „Dadurch wird Deutschland selbst nicht gleich zur Kriegspartei.“ Lesen Sie auch: Scholz verspricht Kiew ein Flugabwehrsystem

Entscheidend ist nach Ansicht von Safferling der territoriale Aspekt. „Völkerrechtlich wäre eine Grenze nur überschritten, wenn deutsche Soldaten auf dem Boden der Ukraine tätig werden – dafür müsste die Bundeswehr in dem Land nicht einmal selbst an Kämpfen teilnehmen, es reicht schon eine Ausbildung von ukrainischen Soldaten.“

Der frühere Nato-General Hans-Lothar Domröse.
Der frühere Nato-General Hans-Lothar Domröse. © dpa | Valda Kalnina

Ändern westliche Waffen das Kräfteverhältnis?

Die Ukraine hofft darauf, dass die Haubitzen entscheidend dazu beitragen, sich gegen die russische Offensive im Osten des Landes verteidigen zu können. „Die Unterstützung mit der Panzerhaubitze 2000 muss gesehen werden im Zusammenhang mit der militärischen Hilfe der westlichen Staaten für die Ukraine insgesamt“, sagt der frühere Nato-General Hans-Lothar Domröse unserer Redaktion. Bisher sei die russische Armee überlegen, sie werde aber über kurz oder lang in materielle Not kommen. „Der Ukraine hilft die Lieferung von Waffensystemen daher sehr, damit sind auch die Panzerhaubitzen ein wertvoller Beitrag.“

Zwar seien die zwölf Geschütze „nicht die Welt“, fügt Domröse hinzu. „Aber das ist deutlich besser als gar nichts. Und besser spät als nie.“ Der frühere General des Heeres der Bundeswehr ist sich sicher: „Im Spätsommer kann es durch die Unterstützung der Ukraine mit schweren Waffen zu einem Wendepunkt im Kräfteverhältnis kommen.“ Dann seien die ukrainischen Soldaten gut ausgebildet an den westlichen Waffensystemen und könnten sich erfolgreich gegen die russischen Angriffe verteidigen. „Und es besteht die Aussicht auf einen Waffenstillstand.“

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.