Berlin . Berichte von Angehörigen lassen auf Todesopfer und Verletzte beim Untergang der “Moskwa“ schließen – die Mütter lassen nicht locker.

Über ihre Verluste im Ukraine-Krieg reden die Russen ungern. Nur zögerlich, stets verspätet – überhaupt erst zwei Mal in bald zwei Monaten – hat der Kreml die Zahl der gefallenen Soldaten beziffert und eine "gewaltige Tragödie" eingeräumt. Sie lässt sich indes nicht unter den Teppich kehren. Denn die Angehörigen der vermissten Soldaten mahnen Klarheit an.

Sie sind es auch, die jetzt den zweiten Untergang des russischen Kriegsschiffes "Moskwa" herbeiführen. Offiziell wurde der Kreuzer mit 510 Matrosen "vollständig" evakuiert: Keine Verletzten, keine Toten. Aber nun kommt eine andere Wahrheit ans Licht: Es melden sich immer mehr Menschen, die Matrosen vermissen. Lesen Sie auch: Russische "Moskwa": Bilder sollen brennenden Kreuzer zeigen

Zur militärischen Demütigung – die "Moskwa" war das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte – kommt ein propagandistischer Schlag ins Wasser hinzu. Das russische Verteidigungsministerium verbreitete Bilder eines Treffens des Kommandeurs der russischen Marine, Nikolaj Jewmenow, mit Männern in schwarzen Matrosenuniformen. Bei ihnen soll es sich um die Besatzung der "Moskwa" handeln. Und tatsächlich wurden einige auch wiedererkannt. Allein, auf den Aufnahmen konnte man höchstens 100 bis 150 Seeleute sehen. Und die anderen?

Untergang der "Moskwa": 37 Tote und 100 Verletzte?

Das unabhängige russische Nachrichtenportal Meduza berichtet, dass mindestens 37 Besatzungsmitglieder gestorben seien. Die Leichen seien in die Hafenstadt Sewastopol auf der Halbinsel Krim gebracht worden. 100 weitere Matrose seien verletzt worden. Mehrere Familien gingen an die Öffentlichkeit und erklärten, dass sie ihre an Bord der "Moskwa" dienenden Söhne und Ehemänner vermissen.

Mal finden Journalisten im Netz den Post einer Frau, die ein Familienmitglied vermisst. Mal bestätigt eine Frau, dass ihr Mann auf dem Kreuzer umgekommen sei. Auch Yulia Tsyvova ging an die Öffentlichkeit. Am Montag erfuhr sie offiziell, dass ihr Sohn Andrei gestorben ist. „Sie haben mir sonst nichts gesagt, keine Informationen darüber, wann die Beerdigung stattfinden würde", erzählte sie dem Londoner "Guardian" am Telefon. „Er war erst 19, er war ein Wehrpflichtiger.“ Ihre Auskunft ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen nennt der Kreml offiziell keine Todesfälle Zum anderen hieß es Anfangs, bei der so genannten Spezialoperation kämen gar keine Wehrpflichtigen zum Einsatz.

"Ein Wehrpflichtiger, der keine aktiven Kämpfe sehen soll, gehört zu denen, die im Einsatz vermisst werden“, schrieb Dmitry Shkrebets, dessen Sohn Yegor Koch auf dem Schiff war und als im Einsatz vermisst geführt wird. „Leute, wie kann man mitten auf hoher See in Aktion vermisst werden?!!!“

Shkrebets war einer der ersten, der an die Öffentlichkeit ging und Antworten darüber forderte, warum sein Sohn in den Krieg geschickt wurde. „Sie sagten, dass die gesamte Besatzung evakuiert wurde. Es ist eine Lüge! Eine grausame und zynische Lüge!“

Kriegsschiff "Moskwa": 200 verletzte Seeleute

Seine Frau Irina sagte der unabhängigen russischen Website Insider, sie hätten etwa 200 verletzte Seeleute in einem Militärkrankenhaus auf der Krim gesehen, als sie nach ihrem Sohn suchten. „Wir haben uns jedes verbrannte Kind angesehen“, sagte sie dem Insider. „Ich kann dir nicht sagen, wie schwer es war, aber ich konnte meine nicht finden. Es waren nur 200 Personen und mehr als 500 an Bord des Kreuzers. Wo waren die anderen? Wir haben in Krasnodar gesucht und überall sonst, wir haben jeden Ort angerufen, aber wir konnten ihn nicht finden.“ Andere Eltern hatten eindeutig mehr Angst, sich zu äußern. Ulyana Tarasova aus St. Petersburg schrieb online: „Mein Sohn Tarasov Mark wird an Bord des Kreuzers Moskva im Einsatz vermisst.“ Stunden später war ihr Post weg.

Die regimekritische Zeitung „Nowaja Gaseta“ – nach ihrer Einstellung in Russland erscheint sie mit einer „Europa“-Ausgabe online – veröffentlichte am Sonntag den Bericht einer Russin, deren Sohn ebenfalls als Wehrdienstleistender auf der Moskwa gedient habe. Ihr Sohn habe überlebt, sie am vergangenen Freitag angerufen und unter Tränen erzählt, dass durch den Raketenangriff, der vom ukrainischen Festland ausgeführt worden sei, „rund 40 Personen“ umgekommen, „sehr viele“ verwundet worden und „einige“ verschwunden seien. Auch das widerspricht der offiziellen Version, wonach Munition an Bord explodiert und das Schiff wegen stürmischer See gesunken sei. Das kann schon deswegen nicht stimmen, weil zur fraglichen Zeit gar kein Sturm tobte.

Das in sozialen Netzwerken kursierende Foto soll die später untergegangene
Das in sozialen Netzwerken kursierende Foto soll die später untergegangene "Moskwa" zeigen.

Fotos und ein Video, das angeblich die "Moskwa" kurz vor ihrem Untergang zeigen soll, tauchten am Montag auf, fast vier Tage nach ihrem Untergang. Die Bilder zeigten, dass die Rettungsboote eingesetzt worden waren, was darauf hindeutete, dass wahrscheinlich der Befehl erteilt wurde, das Schiff zu verlassen. Die schleppende Information hat eine unselige Tradition in Russland. Nicht zufällig schlossen sich Frauen bereits vor Jahren zum längst legendären Komitee "Soldatenmütter" zusammen.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de.