Berlin. Für Putins Krieg in der Ukraine gibt es keine rationale Erklärung, meint unser Autor. Auch über 2022 hinaus braucht das Land Hilfe.

An einem eiskalten Morgen Ende Februar dieses Jahres stauen sich am Grenzübergang zur Slowakei Tausende Fahrzeuge. Es sind auch diese Bilder, die das Jahr 2022 besonders prägten. Menschen wärmen sich die Hände an Lagerfeuern, freiwillige Helfer verteilen warme Getränke und Suppe. Es spielen sich herzzerreißende Szenen ab. Männer verabschieden ihre Familien, sie müssen bleiben, um ihr Land zu verteidigen.

Allen steht die Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben. Es ist ein Gefühl, das in ganz Europa herrscht. Drei Tage zuvor hat Russland die Ukraine überfallen. Trotz aller Warnungen aus US-amerikanischen und britischen Geheimdienstkreisen hat kaum ein Analyst, kaum ein Kommentator, kaum ein Politiker damit gerechnet, dass der russische Präsident Wladimir Putin die rote Linie überschreiten würde; trotz der russischen Interventionen im Osten der Ukraine, trotz der Annexion der Krim acht Jahre zuvor. Es ist ein Krieg, für den es keine rationale Erklärung gibt.

Wladimir Putins Gründe für den Krieg sind irrational

Die russischen Ängste vor der Nato-Osterweiterung sind im Vorfeld oft skizziert worden, Wladimir Putin aber begründet den Krieg mit Gründen, die jenseits von Geopolitik liegen. Er spricht von einem Nazi-Regime in Kiew, das beseitigt werden müsse, von einer Verteidigung der russischen Spiritualität.

Der Krieg, den er vom Zaun bricht, beeinflusst die ganze Welt. Die Preise für Lebensmittel und Energie explodieren. Europäische Regierungen legen milliardenschwere Hilfsprogramme auf, damit ihre Wirtschaft nicht kollabiert und damit nicht ganze Bevölkerungsschichten verarmen. Trotzdem ist die Hilfsbereitschaft groß. Die Flüchtlinge aus der Ukraine werden in Europa herzlich aufgenommen, selbst in den osteuropäischen Ländern, die sich zuvor einer gemeinsamen Migrationspolitik in der EU verweigert haben. Große Gewinner sind die Golfstaaten und die USA, die fernab vom Kriegsgeschehen liegen und nun Öl und Gas zu völlig überteuerten Preisen auf dem Weltmarkt verkaufen können.

Reporter Jan Jessen berichtet aus der Ukraine:

Russland plante den Ukraine-Krieg völlig anders

Der Ukraine-Krieg verläuft aber bisher anders, als es die Strategen im Kreml planten. Die Ukrainer wollen nicht gewaltsam befreit werden und unter russischem Joch leben müssen. Sie wehren sich und erhalten massive Waffenhilfe aus den Nato-Staaten. In den Monaten darauf offenbart sich die eklatante Schwäche in den Kommandostrukturen der russischen Streitkräfte, operativ, taktisch und strategisch gerät der Feldzug zu einer Katastrophe. Im Frühjahr müssen sich die Russen aus der Umgebung der ukrainischen Hauptstadt zurückziehen, im Herbst werden sie aus dem Raum Charkiw im Nordosten und dem Raum Cherson im Süden zurückgedrängt. Am Ende des Jahres 2022 liegen zahllose Städte im Osten und Süden der Ukraine in Trümmern, vor allem in Regionen, die Putin im September völkerrechtswidrig annektiert hat.

Jan Jessen berichtet regelmäßig als Reporter aus der Ukraine.
Jan Jessen berichtet regelmäßig als Reporter aus der Ukraine. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Millionen Menschen sind zum Jahreswechsel ohne Strom. Fast acht Millionen Ukrainer sind als Flüchtlinge in anderen europäischen Ländern registriert, gut sechs Millionen gelten als Binnenflüchtlinge. Tausende Zivilisten und Zehntausende Soldaten sind tot. Das sinnlose Töten geht weiter.

Auch 2023 wird die Ukraine internationale Hilfe benötigen

Für diplomatische Lösungen scheint es derzeit keinen Pfad zu geben. Hilfe und Unterstützung für die Ukraine wird auch im Jahr 2023 nötig sein, nicht nur militärische. Die unter dem Krieg leidenden Menschen brauchen weiterhin Medikamente, Lebensmittel, alles, was der Energieversorgung dient. Hunderttausende haben schwere Traumata erlitten. Ihre Lebenswirklichkeit ist zertrümmert worden, ihre Häuser liegen in Schutt und Asche, sie haben Liebste verloren und selbst Grauenhaftes erlebt, Vergewaltigung, Folter, Bombardierungen. Die seelischen Verwundungen dieses Krieges nach seinem Ende aufzuarbeiten, wird eine Generationen-Aufgabe sein.