Berlin. Streit um deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine. Warum die Kritik an Deutschland ungerecht ist und was Berlin dringend tun muss.

In den Streit über die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine kommt Bewegung. Ausgemusterte Marder-Schützenpanzer, die jetzt beim Rüstungskonzern Rheinmetall stehen, können womöglich doch an die Ukraine geliefert werden. Die Bundesregierung will zeitnah über eine Exportgenehmigung entscheiden, ein offizielles Nein wäre schwer vermittelbar.

Die Sache hat nur einen Haken: Die ersten Panzer wären frühestens in sechs bis acht Wochen einsatzbereit, der Großteil sogar erst in einem halben Jahr. Zu spät, wenn sich westliche Militärexperten nicht irren mit ihrer Prognose, dass Russlands Präsident Wladimir Putin am 9. Mai einen Sieg im Angriffskrieg gegen die Ukraine verkünden will.

Für die Schlacht um den Donbass kommen viele Waffen zu spät

Auch viele andere Rüstungsgüter, deren Lieferung im Westen diskutiert wird, können so schnell nicht einsatzbereit sein, dass sie in der Schlacht um den Donbass nützlich wären. Es geht längst auch um die Frage, wie der Ukraine nach dem Krieg zu helfen ist.

Dies ist nicht das einzige Missverständnis, das die hierzulande aufgeheizte Debatte prägt. Ähnlich verhält es sich mit dem Vorwurf, Deutschland tue bei den Waffenlieferungen viel weniger als die anderen Nato-Länder, es ducke sich weg und sei damit international isoliert.

Die Pauschalkritik an Deutschland ist überzogen, ungerecht und unfair

Sicher, Bundeskanzler Olaf Scholz hat nicht immer glücklich agiert in den letzten Wochen. Aber diese Pauschalkritik ist überzogen, ungerecht und unfair, unabhängig davon, wie die Marder-Entscheidung am Ende ausfällt. Wenn es ein Gefälle an Unterstützungsbereitschaft gibt, dann zwischen den USA und Europa.

Aber selbst Washington, das sich so viel mehr engagiert, lehnt die wichtigsten Wünsche der Ukraine ab: Auch die Vereinigten Staaten schicken keine Kampfjets, die den Krieg entscheiden könnten, und keine modernen westlichen Panzer. In Europa steht Deutschland mit seiner abwägenden Haltung erst recht nicht allein da.

Unser Autor Christian Kerl ist EU- und Nato-Korrespondent in Brüssel
Unser Autor Christian Kerl ist EU- und Nato-Korrespondent in Brüssel © Privat

Die Hilfe des Westens gleicht einem Vorantasten, in dem alle Beteiligten unter dem Eindruck des Kriegsverlaufs rote Linien Stück für Stück verschieben. Stets geht es um die Frage, wann Unterstützung für die Ukraine zur Kriegsbeteiligung wird.

Die direkte Kriegsbeteiligung bleibt tabu

Das ist keine deutsche Angsthasen-Debatte, sondern wird genauso in Washington und Paris oder im Brüsseler Nato-Hauptquartier immer neu diskutiert. Eine direkte Kriegsbeteiligung, eine Konfrontation mit Russland, bleibt für den Westen ein Tabu. Auch deshalb versuchen die Nato-Partner, bei den Waffenhilfen mehr oder weniger im Gleichschritt voranzugehen.

Nachdem Deutschland jetzt den schnell umsetzbaren Panzer-Ringtausch mit der Slowenien beschlossen hat, kündigten Italien und Frankreich zeitgleich die Lieferung von Artillerie-Ausrüstung an. Beide Länder tun kaum mehr als wir. Trotzdem ist es vor allem Deutschland, auf dass die Vorwürfe der Ukraine, aber auch aus Polen und den baltischen Staaten wegen angeblicher Hilfsverweigerung niederprasseln.

Die Bundesregierung muss unfaire Schuldzuweisungen frühzeitig stoppen

Fehler der früheren Russlandpolitik machen die Bundesregierung angreifbar, ebenso wie eine uneinige Koalition: Berlin scheint sich als Hebel anzubieten, über den man Druck auch auf andere Staaten zur Waffenhilfe ausüben kann. Die deutsche Bundesregierung ist gut beraten, nicht auf jede Attacke zu reagieren.

Doch muss sie aufpassen, dass sich die überzogene Kritik nicht verselbstständigt – und die Bundesrepublik am Ende gar für eine ukrainische Niederlage oder schmerzhafte Gebietsverluste haftbar gemacht wird. Bundeskanzler Scholz sollte diese Woche wichtiger Bundestagsentscheidungen für einige Klarstellungen nutzen.

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