Berlin . Sogar bei einer Invasion der Ukraine rechnet das ifo-Institut nicht mit einem russischen Lieferstopp – aber mit höheren Energiepreisen.

Die Ukraine-Krise spitzt sich zu. Schon jetzt ist der ökonomische Rückstoß für Unternehmen und Verbraucher spürbar. Der Präsident des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest, über den Preis der Eskalation:

Herr Fuest, wie gut ist Deutschland auf das Worst-Case-Szenario einer Ukraine-Invasion vorbereitet?

Clemens Fuest: Kritisch wäre vor allem die Energieversorgung. Die Gasspeicher in Deutschland waren zu Beginn des Winters eher wenig gefüllt, und Russland hat seit einiger Zeit nicht mehr als die vertraglich festgelegten Mindestmengen geliefert. Allerdings war der Januar sehr mild, so dass auch der Gasverbrauch niedriger war. Die EU verhandelt derzeit mit Ländern wie Katar und Ägypten über Gaslieferungen, aber kurzfristig wäre ein russischer Lieferstopp kaum auszugleichen. Ob es dazu käme, selbst im Fall einer Invasion, ist allerdings unklar. Ich halte das für eher unwahrscheinlich, weil Russland ja auch künftig noch Gas nach Europa verkaufen möchte. Bei einem Lieferstopp würde die EU künftig woanders Gas einkaufen.

Mit welchen Konsequenzen müssten Unternehmen und Verbraucher rechnen?

Fuest: Die Preise für Gas und Strom würden auf jeden Fall noch einmal deutlich steigen. Viele würden versuchen, Gas und Ölvorräte aufzubauen, was den Preis in einer solchen Lage selbst dann in die Höhe treibt, wenn weiter geliefert wird. Wie gravierend das ist, würde von der Dauer des Konflikts abhängen. Es könnte auch zu Versorgungsengpässen kommen; die würden voraussichtlich zuerst die Industrie treffen. Der Versorgung der privaten Haushalte würde man Priorität einräumen.

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Ifo-Chef Clemens Fuest hält einen russischen Lieferstopp bei Gas und Erdöl für eher unwahrscheinlich.
Ifo-Chef Clemens Fuest hält einen russischen Lieferstopp bei Gas und Erdöl für eher unwahrscheinlich.

Welche Folgen hat allein schon die bisherige Eskalation für die Wirtschaft?

Fuest: Eine aktuelle Studie des ifo-Instituts unter Leitung meiner Kollegin Lisandra Flach schätzt, dass die nach der Krimkrise gegen Russland verhängten Sanktion die deutsche Wirtschaftsleistung pro Jahr um rund fünf Milliarden Euro reduziert haben. Das sind 0,16 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Der Schaden für Russland ist größer, er beträgt 1,2 Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts. Die aktuelle Eskalation hat zum Anstieg der Energiepreise beigetragen. Sie ist allerdings nicht der einziger Treiber der Preise, deshalb lassen sich die Kosten hier nicht genau beziffern.

Wird die Konjunktur unter dieser Krise leiden?

Fuest: Die Konjunktur leidet bereits durch die Energiepreissteigerung, eine Invasion würde das Problem verschärfen. Russland ist wirtschaftlich nicht sehr groß, sein Bruttoinlandsprodukt ist zum Beispiel deutlich geringer als das Italiens, und nur zwei Prozent der deutschen Exporte gehen nach Russland. Aber durch seine Rolle als Energielieferant beeinflusst das Land trotzdem die deutsche Wirtschaftsentwicklung.

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Was kann man lernen, welche Konsequenzen sollte der Staat ziehen?

Fuest: Meines Erachtens sollten Maßnahmen für mehr Versorgungssicherheit auf europäischer Ebene konzipiert werden. Wichtiger als der Aufbau einer Gasreserve wäre die stärkere Diversifizierung der Gas-Bezugsquellen und der Energieversorgung insgesamt, also ein Ausbau der erneuerbaren Energien und zumindest in anderen Ländern als Deutschland auch der Kernenergie.

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