Washington/Peking. Die Differenzen zwischen ihren Ländern dürften nicht zum offenen Konflikt ausarten, warnen Joe Biden und Xi Jinping. Letzterer bemüht das Bild von Ozeanriesen - die nicht auf Kollisionskurs geraten dürften.

Bei ihrem ersten Online-Gipfel haben US-Präsident Joe Biden und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping vor einer gefährlichen Konfrontation zwischen den beiden größten Volkswirtschaften gewarnt.

Biden sagte zu Beginn des Gesprächs, beide müssten dafür sorgen, "dass der Wettbewerb zwischen unseren Ländern nicht in einen Konflikt ausartet, ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt". Er unterstrich in der rund dreieinhalbstündigen Videokonferenz die Notwendigkeit von "Leitplanken des gesunden Menschenverstandes", die Kommunikationswege offen hielten und mögliche Eskalationen verhinderten.

Auch Chinas Präsident sagte, beide Seiten müssten konstruktiv mit ihren Differenzen umgehen, um zu verhindern, dass die Beziehungen "vom Kurs abkommen und außer Kontrolle geraten". Es sei normal, Meinungsverschiedenheiten zu haben. Entscheidend sei aber, diese in den Griff zu bekommen und eine Verschärfung zu verhindern. "Natürlich muss China seine eigene Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen schützen." Auch warnte Xi Jinping die USA, einen "neuen kalten Krieg" gegen China anzuzetteln.

Chinas Präsident verglich beide Mächte mit zwei Ozeanriesen: "Wir müssen das Ruder stabilisieren, damit sich die beiden gigantischen Schiffe China und USA gegen Wind und Wellen vorwärts bewegen, ohne vom Kurs abzukommen, zu stocken oder zu kollidieren."

Das Verhältnis zwischen China und den USA ist angespannt und auf den tiefsten Stand seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen 1979 gefallen. Biden sieht in Peking den mächtigsten Konkurrenten und die größte geopolitische Herausforderung für die USA. Seit seiner Amtsübernahme im Januar fährt er nicht nur einen harten Kurs gegenüber China. Biden versucht auch, eher zögerliche Verbündete wie Deutschland darauf einzuschwören. Während die Europäer nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen eine zu starke Polarisierung vermeiden wollen, schreckt Biden vor Differenzen mit Peking nicht zurück.

Auch in der Videoschalte mit Xi Jinping sprach der US-Präsident jede Menge Streitthemen an: Er äußerte sich besorgt über den Umgang mit den Uiguren, die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong, das Vorgehen Chinas in Tibet sowie über die Menschenrechte in der Volksrepublik insgesamt, wie das Weiße Haus mitteilte. Biden habe auch deutlich gemacht, "dass die amerikanischen Arbeitnehmer und Industrien vor den unfairen Handels- und Wirtschaftspraktiken der Volksrepublik China geschützt werden müssen".

Im Streit um Taiwan wiederholte Xi Jinping seine Drohungen, die demokratische Inselrepublik im Falle einer formellen Abspaltung zu erobern, um eine "Wiedervereinigung" zu erreichen. Chinas Führung betrachtet Taiwan als Teil der Volksrepublik, während sich die 23 Millionen Taiwaner längst als unabhängig verstehen. "Wenn die Unabhängigkeitskräfte in Taiwan provozieren und die rote Linie durchbrechen, müssen wir energische Maßnahmen ergreifen", sagte Xi Jinping. "Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt sich selbst."

Biden hingegen bekräftigte nach Angaben des Weißen Hauses, dass die USA entschieden "einseitige Bemühungen" ablehnten, den Status quo Taiwans zu ändern. Die USA folgten unverändert dem Taiwan-Gesetz von 1979 (Taiwan Relations Act), mit dem sich die USA der Verteidigungsfähigkeit der Insel verpflichtet haben und seither Waffen liefern. Biden hatte jüngst für Verärgerung in Peking gesorgt, als er von der "Verpflichtung" der USA sprach, die demokratische Inselrepublik im Falle eines Angriffs durch China zu verteidigen.

Die Videokonferenz erfolgte vor dem Hintergrund erheblicher Spannungen zwischen den USA und China. Doch sei Entspannung nicht notwendigerweise das Ziel gewesen, sagte eine hochrangige US-Regierungsvertreterin anschließend. Vor allem sei es darum gegangen, dass der zunehmend harte Wettbewerb zwischen den zwei größten Volkswirtschaften verantwortungsvoll gemanagt werde.

Der Online-Gipfel war Bidens erste persönliche, wenn auch virtuelle Begegnung mit Xi Jinping seit seinem Amtsantritt im Januar. Zuvor hatten sie zwei Mal am Telefon gesprochen, zuletzt im September. Wegen der Corona-Pandemie hat Xi Jinping das Land seit knapp zwei Jahren nicht mehr verlassen und auch keine Staatsgäste empfangen.

Differenzen bleiben also - womöglich auch in der Frage, wie die Beziehung zwischen beiden Präsidenten zu charakterisieren ist: Xi Jinping bezeichnete Biden laut Staatsfernsehen als "einen alten Freund". Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, hatte kurz vorher auf Nachfrage noch gesagt, dass Biden den chinesischen Präsidenten nicht als "alten Freund" betrachte. Der Demokrat kennt ihn noch aus seiner Zeit als US-Vizepräsident unter Barack Obama. Im Oktober sagte Biden dem Sender CNN, er habe in seiner Politiker-Karriere mehr Zeit mit Xi Jinping verbracht als jeder andere Staats- oder Regierungschef.

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