Berlin. Der bundesweite Ausbau der Nachmittagsbetreuung kostet viel Geld. Doch es ist gut investiertes Geld, wie eine neue Studie jetzt zeigt.

Für die meisten Kinder ist der Schulanfang ein Grund zur Freude – für viele Eltern kann das Datum aber Kopfzerbrechen bedeuten. Denn dort, wo der Unterricht schon mittags endet, stehen viele berufstätige Eltern vor einem handfesten Betreuungsproblem.

Das will die Koalition ändern, per Gesetz. Jedes Kind in den Klassen eins bis vier soll ab 2025 einen Anspruch auf einen Platz in der Ganztagsschule haben. Ein großes Vorhaben, ein teures – aber auch eines, das sich für den Staat zu einem großen Teil bezahlt macht, wie jetzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin berechnet hat.

Im Auftrag des Bundesfamilienministeriums haben die Forscher des DIW durchgerechnet, was mehr Ganztagsbetreuung für die Staatsfinanzen bedeutet. Klar ist: Der Aufwand ist groß. 50 Prozent der Grundschulkinder nehmen bereits jetzt Ganztagsangebote in Anspruch, im Familienministerium rechnet man damit, dass sich dieser Anteil auf 75 Prozent erhöhen wird, wenn es die Plätze gibt. Gut eine Million zusätzliche Plätze müssten dafür geschaffen werden, mit 3500 bis 4000 Euro Kosten pro Kind und Jahr, so die Forscher vom DIW.

Ganztagsbetreuung würde vielen Müttern Luft zum Arbeiten bringen

Doch mehr Optionen für Betreuung bedeuten auch Mehreinnahmen für den Staat. Denn damit haben vor allem Mütter die Möglichkeit, freier zu entscheiden, ob und wie viel sie arbeiten wollen. Fehlende Betreuungsmöglichkeiten sind Studien zufolge einer der Hauptgründe, warum Mütter weniger berufstätig sind, als sie es gern wären.

Um zwei bis sechs Prozentpunkte, so die Rechnung des DIW, würde die Erwerbsquote von Müttern mit dem Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten steigen. Das klingt zunächst wenig, würde dem Staat aber große Summen eintragen: Denn Mütter, die zusätzlich oder mehr arbeiten, zahlen Steuern und Sozialabgaben. Gleichzeitig steigt das Einkommen der Familien – und der Staat spart sich damit in vielen Fällen Hilfeleistungen, die nicht mehr benötigt werden. Ein bis zwei Milliarden Euro Mehreinnahmen für den Fiskus kommen laut DIW auf diese Art zusammen.

Rechnet man die Kosten für die Betreuung dagegen, trägt sich der Ausbau demnach zu weiten Teilen selbst. Drei mögliche Szenarien haben die Forscher berechnet. Sie kommen auf 32 bis 72 Prozent „Selbstfinanzierungsanteil“ eines Ausbaus. Ziehe man die Investitionskosten zum Start ab und blicke nur auf die Ausgaben für den laufenden Betrieb, liege diese Quote sogar bei 40 bis 89 Prozent.

Ganztagsbetreuung würde auch Länder und Kommunen zugute kommen

Profitieren würden von dem zusätzlichen Geld dabei vor allem die Sozialkassen und der Bund. Aber auch Länder und Kommunen können sich laut den Berechnungen des DIW auf Mehreinnahmen in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe freuen. Langfristige Effekte, zum Beispiel auf die Renten von Frauen, wurden dabei noch gar nicht einkalkuliert, betonte DIW-Bildungsexpertin Katharina Spieß.

Der volkswirtschaftliche und fiskalische Aspekt sei „ein Argument, das wir überhaupt noch nicht bewertet haben“, sagte Familienministerin Franziska Giffey (SPD) am Montag. Eines, das sie gut gebrauchen kann, denn bisher wollen die Länder noch nicht so recht mitziehen bei der Umsetzung.

Zwar hat der Bund den Ländern zwei Milliarden Euro Anschubfinanzierung zur Verfügung gestellt. Doch diese klagen, ebenso wie Städte und Gemeinden, dass das zu wenig ist. Wer einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung verspreche, müsse diesen auch bezahlen, so Schleswig-Holsteins Familienminister Heiner Garg (FDP).

Bund überdenkt Höhe der Anschubfinanzierung für Ganztagsbetreuung

Giffey signalisierte am Montag Entgegenkommen: Es gebe Gespräche mit den Ländern und dem Bundesfinanzministerium, inwieweit sich der Bund über die Anschubfinanzierung hinaus beteiligen könne. Dabei gehe es auch um einen Anteil an den laufenden Betriebskosten nach dem Ganztagsausbau. „Aber für uns ist erst mal wichtig, dass wir diese zwei Milliarden, die als Anfangspaket vorliegen, gut umsetzen und dass wir in diesem Jahr den Rechtsanspruch auch tatsächlich ins Gesetz bringen.“

Einig sind sich Bund und Länder bereits über den Umfang beim Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung: fünf Tage die Woche, mindestens acht Stunden am Tag und maximal vier Wochen Schließzeit in den Ferien – das muss eine Schule bieten, um das Versprechen einzulösen.

Ein Fragezeichen steht dafür noch an einer anderen entscheidenden Stelle: Wo das Personal für den großflächigen Ausbau herkommen soll, ist bislang offen. Schon jetzt fehlen in Deutschland Erzieher und Lehrer. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg kam in einer kürzlich veröffentlichten Studie auf 33.000 zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher, die an Grundschulen gebraucht werden, um eine umfassende Betreuung für alle Kinder möglich zu machen.

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Ganztagsbetreuung soll Kindern mehr Chancengleichheit bringen

Auch in Teilen der Opposition sieht man da eine Lücke in den Plänen der Familienministerin: „Giffey bleibt die Antwort darauf schuldig, wie die Ganztagsbetreuung inhaltlich und pädagogisch ausgestaltet werden soll“, sagte Birke Bull-Bischoff, bildungspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion. „Das Personal können sich die Länder ja schließlich nicht einfach backen.“

FDP und Grüne dagegen dringen auf schnelle Umsetzung der Pläne: Giffey müsse bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs „endlich auf die Tube drücken“, forderte die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Katja Dörner. FDP-Familienpolitiker Matthias Seestern-Pauly kritisierte, dass sich das Vorhaben hinziehe – auf den lange angekündigten Rechtsanspruch warte man vergebens, sagte er.

Familienministerin Giffey betonte bei der Vorstellung der Studie, dass die gute finanzpolitische Bilanz der Ganztagsbetreuung vor allem ein positiver Nebeneffekt sei, nicht der Hauptgrund für den Ausbau: „Wir müssen hier mal eine Reihung der Prioritäten finden: Zuallererst ist die Chancengerechtigkeit von Kindern dran, dann kommt die Vereinbarkeit, dann kommt die Gleichstellung von Frauen und Männern“, so Giffey.

Letztlich gehe es um gesellschaftlichen Zusammenhalt. Politik müsse dafür sorgen, dass „jeder, der in Deutschland groß wird, auch irgendwie seinen Weg macht. Das ist mir jeden einzelnen Euro wert.“

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