Kommentar: Martin Kappel über eine mögliche Wende mit der Wendezeit

Kommentar: Martin Kappel über eine mögliche Wende mit der Wendezeit

Wer von dem Projekt um die „Wendezeitungszeugen“ das erste Mal hört, dem werden die Augen wohl – zumindest mir ging es so – anfangs sehr groß. Während andere Städte bereits seitenstarke kritische Sekundärliteratur in der x-ten Auflage zur eigenen DDR- und Wendegeschichte haben, sind mir derartige Machwerke in meiner neuen journalistischen Heimat bisher noch nicht begegnet.

Wer nun die Eckpunkte des Bürgerprojektes studiert, der merkt aber recht schnell, dass zumindest diese Hoffnung nicht erfüllt werden wird. Die Projektbeteiligten wissen sehr wohl um diesen Umstand und versprechen daher auch keine wissenschaftliche Untersuchung.

Zweifelsohne haben die nun vor der mutmaßlichen Verewigung stehenden Wendezeitbiografien ihre Daseinsberechtigung – und auch die Fotos und Berichte von Bürgern, die sich an dem Projekt hoffentlich zahlreich beteiligen.

Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier – offenbar als Nebenprodukt – nur ein Anfang gemacht wird von einer oft geforderten, vielfach versprochenen, sicher aber um Dekaden überfälligen Aufarbeitung in Apolda.

Laut den Verwaltern der Aktenberge, voll mit politisch brisanten und schamlos intimen Dokumenten, die zu DDR-Zeiten entstanden sind, zieme es sich nicht von „den Tätern“ zu sprechen, die den Apparat des Unrechtsregimes am Laufen hielten. Doch wie auch immer man diese politisch korrekt nennt: Wer sie waren und was sie trieben, dazu haben von sich aus nur die wenigsten die Größe und den Mut sowie die Einsicht und eine glaubhafte Reue gezeigt, öffentlich darüber ein Bekenntnis abzulegen.

Die deutsche Geschichte lehrt es uns, nicht aus Befangenheit Kapitel so lange totzuschweigen, bis auch der letzte Zeitzeuge gestorben ist.