Erfurt. Die Grafiker Stefan Kowalczyk und Michael Schinköthe zeigen auf einem Wandbild, was die Kreativen antreibt – das Herzblut

Ein neues Monumental-Graffiti am Wächterhaus 2 neben dem Bürgeramt verneigt sich vor den Künstlern und Kunsthandwerkern. Es widmet sich dem Stoff, der die Kreativen antreibt – dem Herzblut.

„Herzblut ist eine Wortverknüpfung mit tiefer Bedeutung, die es nur im Deutschen gibt und die sich nicht einfach übersetzen lässt“, sagt Michael Schinköthe, der das Wandbild gemeinsam mit seinem Büro-Partner Stefan Kowalczyk erschaffen hat. Das Wort beschreibe aber die wichtigste Motivation, sich dem Kreativen zu widmen.

Die beiden Grafiker bilden dafür ein gutes Beispiel. Im Wächterhaus 3 im alten Garnisonslazarett an der Nordhäuser Straße bilden sie die Bürogemeinschaft „Greatmade“, die visuelle und konzeptionelle Lösungen für Startups, Projekte und Vereine etwa der Soziokultur findet. Sie gestalten zum Beispiel Plakate für nicht-kommerzielle Festivals, ohne dafür adäquat entlohnt zu werden. „Künstler arbeiten nicht zuerst aus einem monetären Antrieb heraus“, sagt Kowalczyk.

Das Wandbild an einer Brandmauer in der Bürgermeister-Wagner-Straße zeigt eine Gruppe von unterschiedlich großen Händen, die ineinander greifen. Gemeinsam bilden sie die Form eines organischen Herzens. Wie Arterien führen ein Bleistift und eine Schreibfeder von dem Herzen weg. Über dem Bild steht „Herz“, darunter „Blut“.

„Die Hände sind ein Symbol für handwerkliche Tätigkeiten“, sagt Kowalczyk. „Sie stehen aber auch für das Zupacken.“ Das Ineinandergreifen symbolisiere die gemeinsame Arbeit.

Dass die Bildsprache der verknüpften Hände wie einst im Sozialismus die Solidarität beschwört, sei durchaus beabsichtigt, meint Michael Schinköthe. „Solidarisch passt wunderbar zum Wächterhaus-Verein“, sagt er. „Es ist eine Gemeinschaft, die zusammen arbeitet, um etwas Neues zu erschaffen.“

In Berlin haben Schinköthe und Kowalczyk schon einmal eine 125 Quadratmeter große Wand gestaltet. In Erfurt ist das Herz aus Künstler-Händen das erste Wandbild der beiden. Frühere Pläne, eine Brandmauer an der Nordhäuser Straße zu gestalten, scheiterten an einem Eigentümerwechsel.

Kunstkommission wurde eingeschaltet

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich am Wächterhaus 2 eine neue Gelegenheit ergab. Ermöglicht wurde sie durch die Initiative „OQ Paint“ im Plattform-Verein, die mit der kreativen Gestaltung kahler Brandmauern das Stadtbild bereichern will.

Von der Idee bis zur Umsetzung dauerte es noch länger. Denn bei einem so großen Wandbild, noch dazu in unmittelbarer Nachbarschaft zum Bürgeramt, wollte auch die Stadtverwaltung mitreden.

„Der Entwurf lag beim Bauamt, das sogar die Kunstkommission einschaltete“, berichtet Urs Warweg, Chef des Wächterhaus-Vereins. Diskutiert worden sei zum Beispiel, ob das Wort „Blut“ an einer Hauswand stehen dürfe. Am Ende gab es aber grünes Licht. „OQ Paint“ und der Wächterhaus-Verein sponserten die Farbe und den Hubträger.

Zum Übertragen des Entwurfs auf die Hauswand benötigten die beiden Künstler vier Tage. Dabei wendeten sie eine neue Technik an. Auf den Putz der Brandmauer malten sie zunächst ein Raster aus wild zusammengestellten Symbolen. Das Raster fotografierten sie ab, um es später am Computer zu entzerren und mit dem geplanten Motiv zu überdecken.

Das Ergebnis nutzten sie als Vorlage. „Das ist einfacher als bei einem metrischen Raster, weil man nicht nachzumessen braucht“, erläutert Kowalczyk.

Die Raster-Symbole, die nicht vom Motiv überdeckt wurden, übermalten sie am Schluss mit Farbe im Ton des Putzes. „So haben wir zugleich noch die Wand gestrichen“, sagt Schinköthe.

„Wächter“ sind Künstler und Kunsthandwerker, die leer stehende Immobilien der Stadt zu günstigen Bedingungen nutzen und sie so vor dem Verfall bewahren. Das Wächterhaus 1 an der Talstraße ist inzwischen verkauft. Das Wächterhaus 2 mit sechs Ateliers neben dem Bürgeramt existiert seit 2012.

Seit Mai 2018 dient auch ein Block des alten Garnisonslazarett an der Nordhäuser Straße als Wächterhaus. Dort arbeiten 16 Künstler und Kunsthandwerker in den Ateliers. Im Unterschied zu anderen Wächterhäusern ist das alte Lazarett als Teil eines Künstlerquartiers auf dauerhafte Nutzung ausgelegt.

„Als Nutznießer eines Wächterhauses ist es eine schöne Aufgabe, ein anderes zu gestalten“, sagt Michael Schinköthe.