Weimar. In der Tradition von Christian Vollrath und Carl Oehlwein entwickelte Ernst Leißling die Arbeit mit blinden Schülern in Weimar erfolgreich fort.

Der Franzose Louis Braille entwickelte 1829 eine Blindenschrift. Dieses revolutionäre „Punkt- Schrift-System“ fand weltweite Verbreitung und sorgte auch in Deutschland bei Sehschwachen und Blinden für Licht am Ende des Tunnels. Der herausragende Braillist für Mitteldeutschland war Ernst Leißling, der vor exakt 100 Jahren als Taubstummenlehrer seine Arbeit in Weimar aufnahm.

Ernst Leißling, geboren 1883, ging ab 1897 auf das Lehrerseminar in Eisenach, wo namhafte Lehrer den Lehrernachwuchs unterrichteten. Er gehörte 1903 zu den Besten seines Jahrgangs und legte später mit Bestnote die zweite Lehrerprüfung ab. Anschließend wurde er an die Bürgerschule in Jena berufen, wo er zudem für die Ausbildung zum Blindenlehrer die Universität besuchte.

Er galt schnell als Hoffnungsträger und wurde nun in Vorbereitung auf künftige Aufgaben „behördlicherseits“ beobachtet. Leißling glänzte als Lehrer, im zusätzlichen Studium als Braillist. Zum 1. Januar 1920 versetzte ihn die Regierung als Taubstummenlehrer nach Weimar. Das war eine Zäsur.

Christian Vollrath hatte 1820 die Tradition in der Blindenbetreuung begründet. Er hatte die „Vollrathsche Privatanstalt“ für Blinde entwickelt, die 1858 in die Obhut von Carl Oehlwein ging und bis 1924 am Standort der späteren Staatsbank (Notenbank) wirkte. Parallel zu Oehlwein engagierte sich Max Zöllner für Blinde, was zur Gründung eines Vereins und zur Bildung der Blindenwerkstatt führte, die 1923 der Staat übernahm.

Leißling war fünf Jahre Taubstummenlehrer, dann zwei Jahre Gewerbeoberlehrer, ab 1. April 1927 Lehrer der Blindenberufsschule und die Folgejahrzehnte Direktor der Thüringer Landesblindenanstalt. Er war nun der Braillist für Thüringen, der Maßstäbe setzte, der Loge „Amalia“ der Freimaurer der Klassikerstadt angehörte und als überzeugter Liberaldemokrat ab 1933 mit seiner strikten Ablehnung der Euthanasieverbrechen der Nazis Zivilcourage bewies. Vor ihnen versteckte er als letzter Meister vom Stuhl das Archiv seiner Loge, erlebte mit dem amerikanischen Stadtkommandanten im Frühjahr 1945 einen Logenbruder, der ihn förderte und am 17. Mai 1945 die „Wiederaufnahme der Logenarbeit“ erlaubte.

Nach 1945 kam es unter Leißling zur Erweiterung der Blindenanstalt, die nun Grundschule, Berufsschule, Werkstätten, Internat und Altersheim umfasste. Kurz nach seinem 25-jährigen Direktorenjubiläum wurde ihm der „Louis-Braille-Preis“ verliehen. 1953 schied Leißling mit 70 Jahren aus der nunmehrigen Sehschwachenschule aus.

Leißling wurde Ehrenmitglied des Allgemeinen Deutschen Blindenverbandes und starb am 7. März 1979 in Weimar, kurz vor seinem 97. Geburtstag.