Al Ruwais. Bernd Neuendorf hat kurz vor dem WM-Start Fifa-Präsident Gianni Infantino scharf kritisiert. Der DFB-Präsident zeigte sich verärgert.

Die rote Burg mitten in der Wüste kann man schon von weitem sehen. Das Trainingszentrum des Al Shamal Sports Club taucht plötzlich wie eine Fata Morgana im Norden von Katar auf und wirkt auf den ersten Blick eher wie ein Fort aus der Ritterzeit als wie einer der modernsten Fußballplätze des Landes. Doch genau in dieser Festung, die nur wenige Minuten vom luxuriösen Nationalmannschaftshotel Zulal Wellness Resort entfernt liegt, wird das DFB-Team an diesem Wochenende erstmals in Katar trainieren – und diesen Ort suchte sich am Freitagmittag auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf für seine erste WM-Audienz aus.

Erst am Vortag war Neuendorf mit der Nationalmannschaft aus dem Oman angereist. Der ehemalige Politiker, 61 Jahre alt, geboren in Düren, ist ein höflicher Mann. Der oberste DFB-Funktionär, der vor acht Monaten zum Präsidenten gewählt wurde, begrüßt die meisten der mitgereisten Medienvertreter im Al Shamal Sports Club persönlich mit Handschlag. Hier noch ein kurzes Schwätzchen, dort noch ein Plausch. Doch als der frühere SPD-Mann um Punkt 14 Uhr Ortszeit das Podium betritt und kurz wartet, bis alle Kameras laufen, ist es mit der Höflichkeit schnell vorbei. Kurz spricht Neuendorf über Fußball, die Nationalmannschaft und deren WM-Chancen, dann wird er deutlich. Und zwar so deutlich, wie vor ihm möglicherweise noch nie ein amtierender DFB-Präsident bei einer Weltmeisterschaft wurde.

Neuendorf: „Das hat uns auch verstört“

„Wir müssen ein Zeichen setzen“, sagt Neuendorf schon bei der ersten Nachfrage nach der Fifa und deren umstrittenen Präsidenten Gianni Infantino – und setzt dieses Zeichen. „Das Schreiben von Gianni Infantino in der vergangenen Woche, dass Menschenrechte jetzt keine Rolle mehr spielen und dass wir uns jetzt hier auf Fußball konzentrieren sollen, das hat uns irritiert und das hat uns auch verstört“, sagt er – und erklärt die weiteren Zeichen, die er in Abstimmung mit dem DFB-Präsidium gesetzt hat. So habe sich der Deutsche Fußball-Bund „einstimmig“ darauf verständigt, Präsident Infantino die Unterstützung bei dessen geplanter Wiederwahl im März zu verweigern.

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In seinem vorherigen Leben war Neuendorf Staatssekretär im Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport in Nordrhein-Westfalen. Neuendorf kann Politik. Doch Neuendorf weiß auch, dass jedes Wort von einem DFB-Präsidenten bei der politischsten Fußball-Weltmeisterschaft aller Zeiten zählt. Deswegen ist er vorbereitet. Immer wieder nimmt Neuendorf die Brille vom Kopf, setzt sie sich auf die Nase und liest von einem Blatt Papier ab. Und was er da liest und sagt, das darf als klares Anti-Fifa- und Anti-Infantino-Statement gewertet werden.

Kapitäne spielen bei WM mit bunter Binde

„Ich muss sagen, dass mich in letzter Zeit nicht nur das eine Schreiben der Fifa irritiert hat“, sagt Neuendorf. „Da gibt es noch einige andere Dinge.“ Dass zum Beispiel die dänische Nationalmannschaft in Katar nicht mit Shirts mit der Botschaft „Human rights for all“ (übersetzt: „Menschenrechte für alle“) trainieren darf. Auch die Weigerung der Fifa, die blutige Reaktion des iranischen Regimes auf die Proteste zu kommentieren, hat ihn verärgert. „Die Fifa hat sich zu Dänemark positioniert, aber nicht zum Iran“, sagt Neuendorf, schüttelt mit dem Kopf und zählt auch noch die Kapitänsbinde von Manuel Neuer als weiteres Beispiel auf. „One Love“ steht da drauf. Neben dem DFB hatten sich auch die Verbände von England, Niederlande, Belgien, Schweiz, Wales und Dänemark dafür ausgesprochen, dass ihre Kapitäne mit dieser bunten Binde in Katar spielen. „Das ist keine politische Äußerung, sondern ein Statement für Menschenrechte“, sagt Neuendorf in Richtung Fifa – und erklärt, dass ihn auch die Androhung einer Sanktion nicht von dem Plan abhalten würde: „Ich bin durchaus bereit, eine Geldstrafe zu zahlen.“

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Zwischendurch kurz Fußball. Die Mannschaft, eine echte Einheit. Der Spirit, super. Und die Neuen, bereits integriert. Doch dann wird es direkt wieder politisch. Katar, die WM, die Toten. Das alles lasse ihn – und auch die Fußballer – nicht kalt. „Die Spieler positionieren sich sehr“, sagt Neuendorf, der sich direkt vor der Pressekonferenz mit mehreren Spielern im Mannschaftshotel getroffen hatte. „Wir wollen dort unterstützen, wo die Wanderarbeiter herkommen“, sagt er – und verkündet, dass die Stiftung der deutschen Nationalmannschaft eine Million Euro für die Unterstützung eines SOS-Kinderdorfes in Nepal bereitstellen werde. 400.000 Gastarbeiter in Katar kämen aus Nepal, erklärt Neuendorf. Sie leben in teilweise unmenschlichen Bedingungen, haben die Stadien gebaut, wurden verletzt, starben. „Ihnen müssen wir helfen. Wir wollen an die Wurzel“, verspricht Neuendorf.

Gespräche mit Fifa während der WM

Der DFB und das Geld. Oft war beides kaum voneinander zu trennen – meist in unguten Zusammenhängen. Ausgerechnet im pompösen Katar soll das anders werden. Bei der WM in Brasilien gab der DFB noch 287.304,35 Euro für den Präsidiumstrip aus. Alle Funktionäre, die nicht schnell genug nein sagen konnten, wurden eingeladen. In Katar gehören neben Neuendorf nur noch vier weitere Funktionäre zur Delegation.

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Und diese Delegation, das verspricht der DFB-Präsident, will Zeichen setzen. Er habe zwar ein Zimmer im Mannschaftshotel, werde aber die meiste Zeit im 110 Kilometer entfernten Doha sein. Dort wolle er Gespräche führen. Mit anderen Verbandsfunktionären, mit dem katarischen Verband, dem WM-Organisationskomitee, der Fifa – und Gianni Infantino.

Der Fifa-Präsident bittet übrigens am Samstag zu einer ersten WM-Audienz. Um 11 Uhr Ortszeit. Im Qatar National Convention Center in Doha. Bernd Neuendorf dürfte gespannt sein.