Doha. 2010 stürzte Uruguay Ghana und einen ganzen Kontinent in das Tal der Tränen. Nun könnten sich die Afrikaner erfolgreich revanchieren.

Die Tränen von Johannesburg, die in jener Julinacht über viele der grün-gelb-rot geschminkten Gesichter flossen, sind längst getrocknet, aber die Erinnerungen an ein denkwürdiges Fußballspiel erwachen gerade wieder zu neuem Leben vor dem Duell zwischen Uruguay und Ghana. Am Freitagabend (20 Uhr) spielen diese beiden Nationen um die Achtelfinalteilnahme bei dieser WM, Ghana könnte ein Unentschieden reichen, Uruguay muss gewinnen, und in vielen afrikanischen Schlagzeilen taucht nun der Begriff „Revenge“ (Rache) auf. Das mag martialisch klingen, ist in diesem Fall aber ein recht naheliegender Wunsch, denn als Ghana zuletzt bei einem Turnier auf Uruguay traf, erlitten die Westafrikaner nicht nur eine einfache Niederlage. Der ganze Kontinent erlebte ein Fußballdrama, das tiefe Spuren hinterlassen hat.

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Der erste Einzug eines afrikanischen Teams in ein WM-Halbfinale war greifbar nah, als dieser Kopfball von Ghanas Dominic Adiyiah in der letzten Minute der Nachspielzeit beim Stand von 1:1 auf das Tor der Südamerikaner zuflog. Vorbei am Torhüter direkt in Richtung Netz, bevor die Hände von Luis Suarez nach oben schnellten und den Jubelschrei erstickten, zu dem viele Millionen Menschen bereits angesetzt hatten. Suarez sah die Rote Karte, doch Asamoah Gyan drosch den anschließenden Strafstoß an die Latte und Ghana verlor auch das Elfmeterschießen. Als Suarez am Donnerstag gefragt wurde, ob es an der Zeit für ein Signal der Entspannung sei, sagte er: „Ich werde mich dafür nicht entschuldigen, die Ghanaer haben den Elfmeter verschossen, nicht ich“, er habe ja kein Foul begangen und auch niemanden verletzt.

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Luis Suarez wird in Ghana gehasst

Man kann das so sehen, der afrikanische Schmerz jedoch beleibt. Bis heute war keine afrikanische Mannschaft mehr so kurz davor, ein WM-Halbfinale zu erreichen. „In Uruguay ist er ein Held, obwohl ihn die Menschen in Ghana für einen Betrüger halten. Die Leute hassen ihn“, sagte Gyan vor ein paar Tagen und das südafrikanische Fußballmagazin „Far Post“ sieht in Suarez „Ghanas Public Enemy Number One“.

All diese Erinnerungen und Gefühle werden am Freitag anwesend sein, auch wenn die Beteiligten versuchen, Schärfe aus der Begegnung herauszunehmen. „Viele Menschen reden von einer gewissen Symbolik und träumen von Rache“, sagt beispielsweise Trainer Otto Addo, „aber für mich ist das überhaupt kein Thema, das sind einfach zwei unterschiedliche Spiele“. Gyan selbst hat Suarez schon wenige Wochen nach der WM öffentlich verziehen, auch wenn er später einmal erzählte, immer noch manchmal von den Emotionen jenes Momentes heimgesucht zu werden. Für viele Ghanaer und Afrikaner ist Suarez jedoch weiterhin ein Bösewicht wie aus einem Hollywoodfilm, auch weil die Bilder von seinem Jubel nach Gyans Elfmeterschuss an die Latte in aller Welt zu sehen waren. Und weil der Stürmer vier Jahre später Italiens Giorgio Chiellini in die Schulter biss und das WM-Publikum mit einer weiteren Aktion schockte, die als sehr, sehr unfair wahrgenommen wurde. Denkwürdiger ist aber die Nacht von Johannesburg.

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Um die Größe dieses Momentes zu verstehen, hilft es, noch einmal zurückzudenken an die Atmosphäre, in der die WM von 2010 gespielt wurde. Es war das Turnier Afrikas, das das angeschlagene Selbstvertrauen des gesamten Kontinents stärken sollte. Damals kursierten in Europa lange Zeit Behauptungen, dass die WM doch anderswo stattfinden werde, weil die Afrikaner die Organisation nicht hinbekommen würden. „Diese Weltmeisterschaft ist ein Symbol. Sie findet nicht nur in Afrika statt, sie findet auch im Land von Nelson Mandela statt, sie erinnert an seinen Kampf gegen die Apartheid und daran, was er für die Akzeptanz schwarzer Menschen getan hat“, sagte der Weltstar Didier Drogba von der Elfenbeinküste damals und Kameruns Samuel Eto’o erklärte: „Dieser Weltcup hat die Kraft, alle Afrikaner in einem großen Ziel zu einen.“

Die Niederlage Ghanas wurde zu einer Tragödie für den gesamten Kontinent

Vor diesem Hintergrund wurde der Schmerz Ghanas zu einer Tragödie für den gesamten Kontinent, und die Gefahr ist groß, dass die Mannschaft von Trainer Otto Addo auch in Doha als Verlierer vom Platz geht. Ghana ist die am schlechtesten gerankte Mannschaft des gesamten Wettbewerbs, ein Ensemble fast ohne Spieler von großen europäischen Klubs. Mohammad Kudus von Ajax Amsterdam ist der einzige Profi, der zuletzt in der Champions League auf sich aufmerksam gemacht hat, Thomas Partey spielt eine starke Saison beim FC Arsenal. Ansonsten besteht der Kader vor allen Dingen aus Mittelklasseprofis, die ordentlich in der Premier League oder in Spanien oder im Falle des Freiburgers Daniel Kofi-Kyereh in der Bundesliga spielen. Sollte diese Mannschaft tatsächlich dafür sorgen, dass Suarez in Doha das letzte WM-Spiel seiner Karriere bestreitet, dann werden sie jedoch als Helden erinnert werden und von einigen Ghanaern vermutlich auch als Rächer