Leipzig. Die deutsche Nationalmannschaft hat gegen Ungarn 0:1 verloren. Besonders in der ersten Halbzeit war die Leistung erschreckend.

Es waren noch ein paar Minuten zu spielen am Freitagabend, als es Hansi Flick einfach nicht mehr auf seiner Trainerbank hielt. Der Bundestrainer sprang auf, klatschte in die Hände, ging von rechts nach links und wieder zurück von links nach rechts. Ein Kopfschütteln hier, ein Aufstampfen dort – dann war es vorbei. 0:1 hatte seine Mannschaft das vorletzte Nations-League-Spiel gegen Ungarn in Leipzig verloren. Der erhoffte Gruppensieg: Schon vor dem letzten Spiel am Montag in England abgehakt. Die Atmosphäre in der mit 39.513 Zuschauern ausverkauften Red-Bull-Arena: frostig.

Schon vor dem Spiel war die Stimmung gereizt. Bereits am Nachmittag hatten ungarische Problemfans in der Leipziger Innenstadt sehr deutlich gemacht, dass sie nur wenig von den Ideen und Idealen einiger Friday-for-Future-Aktivisten halten. Ein Großaufgebot der Polizei konnte zunächst Schlimmeres verhindern. Am Abend in der bis auf den letzten Platz ausverkauften Red-Bull-Arena trug dann die Anwesenheit von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban nicht gerade zur Entspannung bei. Im schwarzen Block der zum Teil nationalistisch eingestellten Ungarn nahm Orban aber doch nicht Platz – obwohl der Rechtsaußen dort sicherlich passendere Gesprächspartner als auf der VIP-Tribüne gefunden hätte.

Deutschland tat sich von Beginn an sehr schwer mit Ungarn

Sei’s drum – Fußball wurde ja auch noch gespielt. Wobei sich gerade die deutsche Mannschaft zunächst sehr schwer mit dem Überraschungs-Tabellenführer der Gruppe 3 tat. Ungarns vielbeinige Abwehr, die bei deutschen Ballbesitz blitzschnell aus einer modernen Dreierkette zu einer unüberwindbaren Fünferkettenfestung mutierte, weigerte sich hartnäckig, die Rolle eines höflichen und bescheidenen Gastes zu übernehmen und ließ den Lokalmatadoren Timo Werner im Sturm völlig chancenlos. Die Dauerdiskussion, ob Deutschland ein echter Neuner fehlt, darf sich über eine Fortsetzung bis zur WM freuen.

Dass ein echter Neuner, der übrigens genau wie Werner auch noch die Nummer neun auf dem Rücken trägt, durchaus eine feine Sache sein kann, zeigten wiederum die Ungarn. Nach einer Ecke durch Leipzigs Dominik Szoboszlai streichelte der frühere Bundesliga-Torjäger Adam Szalai den Ball so gefühlvoll mit einer Mischung aus Außenrist und Hacke an Manuel-Neuer-Vertreter Marc-André ter Stegen ins Tor (17.), als ob der Vollblutangreifer des FC Basel hundsgemein auch noch Salz in Deutschlands Stürmerdiskussionswunde streuen wollte. 0:1 nach einer guten Viertelstunde – das gehörte eigentlich nicht zu Flicks Matchplan.

Ungarn war im ersten Durchgang die deutlich bessere Mannschaft

Dabei konnte der Bundestrainer, der in dieser Woche kundgetan hatte, dass er sich auch nach einem Jahr im Amt noch immer schwer mit der Berufsbezeichnung „Bundestrainer“ tut, sogar froh sein, dass es zunächst „nur“ beim 0:1 blieb. Denn nachdem die komplette DFB-Hintermannschaft nach einem schnell ausgeführten Freistoß in eine Spalte des Raum-Zeit-Kontinuums gefallen schien, konnte sich Flick vor allem bei Barcelonas ter Stegen bedanken, dass zumindest der Torhüter im Hier und Jetzt geblieben war. Ungarns völlig freistehender Attila Fiola hatte auf den ebenso völlig freistehenden Dániel Gazdag quergelegt, der allerdings am hellwachen ter Stegen scheiterte (25.).

Und die deutsche Offensive, die hinter Leipzigs Werner mit Leroy Sané, Thomas Müller und Serge Gnabry aus gleich drei Bajuwaren bestand? Spielte genauso erfolgreichen Fußball wie der FC Bayern in den vergangenen vier Bundesligaspielen. Doch anders als in München, wo sich die Offensivwirbler immerhin Chance um Chance erarbeiten, brauchten die FCB-Angreifer im DFB-Trikot tatsächlich bis zur 39. Minute für ihre erste (und in Halbzeit eins auch einzige) Halbchance. Doch Müllers Kopfball war am Ende ähnlich harmlos wie das komplette Angriffsspiel der Deutschen. Ein Pfeifkonzert der lauteren Sorte war die Quittung zur Pause.

Flick nahm den indisponierten Gnabry raus

Flick reagierte, nahm den indisponierten Gnabry raus, brachte Thilo Kehrer und schob den zuletzt so starken Gladbacher Jonas Hofmann eine Position weiter nach vorne. Die Statik des Spiels musste sich ändern, was besonders bei einem Blick auf die Ballkontakte der DFB-Akteure in Halbzeit eins deutlich wurde. Innenverteidiger Niklas Süle: 74, Stürmer Werner: 7. Noch Fragen?

Immerhin: Im zweiten Durchgang war Flicks Mannschaft um Antworten bemüht. Obwohl Ungarns Fünferkette bisweilen nun sogar zu einer Achterkette wurde, wirkte das deutsche Angriffsspiel nicht mehr ganz so festgefahren – aber immer noch weit entfernt von flüssig. Und je länger das Spiel dauerte, desto wahrscheinlicher wurde Flicks erste Niederlage im 15. Spiel als Nationaltrainer. Nach etwas mehr als 90. Minuten war es dann amtlich: Deutschland hat verloren, Flick hat verloren – und die Rückkehr ins Wembley-Stadion am Montag im letzten Nations-League-Spiel des Jahres wird zum Freundschaftskick. England ist bereits abgestiegen.

PS: In 57 Tagen geht die WM in Katar los.