Doha. Der neue Weltmeister feiert seinen Titel überschwänglich. Lionel Messi will vorerst im argentinischen Trikot weitermachen.

Schon aus einem Nebenraum hörte man Geräusche, Gesänge, Gelächter, plötzlich wackelten die Werbewände in der untersten Etage des Stadions in Lusail. Dann hüpfte die wilde Gruppe in den Medienraum, indem ja eigentlich Interviews gegeben werden sollten. Jetzt spritzte hier Champagner auf die Journalisten, Lautaro Martinez klaute sich ein Mikrofon, ganz vorne lief Lionel Messi, in seiner rechten Hand glänzte der goldene Pokal. Weltmeister!

Wie eine Jungsbande wirkte die argentinische Auswahl in diesem Moment am späten Sonntagabend, ruppig, ungestüm, eng verbunden. So hatte sie zuvor auch Frankreich in einem epischen Finale 7:5 nach Elfmeterschießen besiegt, das sich einreiht in die größten Begegnungen der Fußball-WM. Ein Jahrhundertspiel, über das in vielen, vielen Jahren, wenn die Menschheit vermutlich irgendwas als Ersatz für Smartphones erfunden hat, noch gesprochen werden wird. Genauso wie über Lionel Messi, den besten Fußballer der Gegenwart.

Messi hat sein epochales Werk vollendet

Am Sonntag und Montag waren es aber noch die Handys der Menschen, die die Gefühle nach dem mitreißenden Endspiel weitertrugen. Argentiniens Nicolas Otamendi stellte das Geschehen in der Kabine mit einer Liveaufnahme in das Schaufenster der Sozialen Medien. Trainer Lionel Scaloni wurde mit Champagner übergossen, Bänke und Tische knarzten. Der, Entschuldigung, etwas durchgeknallte, aber begnadete argentinische Torhüter Emiliano Martinez bat um eine Schweigeminute für den französischen Superstar und Verlierer Kylian Mbappé, um dann lachend weiter zu tanzen.

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Vor allem aber richteten sich die Augen auf Lionel Messi, im Alter von 35 Jahren hat der einst kleinwüchsige Junge, der Hormone nehmen musste, um sich zu strecken, sein epochales Werk vollendet. Neben der brasilianischen Legende Pelé (82) und der argentinischen Ikone Diego Maradona, mit der Messi oft verglichen wurde und die 2020 im Alter von nur 60 Jahren verstorben ist, zählt er nun zu den größten Spielern der Geschichte.

Messi möchte noch weitere Spiele im Nationalteam machen

„Es ist kein Geheimnis, dass ich meine Karriere mit diesem Pokal beenden wollte. Ich hätte nicht um mehr bitten können. Ich danke Gott“, sagte Lionel Messi nach dem Triumph. Schon zuvor hatte er verraten, dass diese Weltmeisterschaft seine letzte sein würde. Sofort möchte er das argentinische Trikot aber nicht abgeben, selbst wenn seine sich zerreißende Mannschaft unter Trainer Lionel Scaloni andeutete, dass sie in Zukunft auch ohne ihren Kapitän einiges erreichen könnte. „Ich möchte noch ein paar Spiele als Weltmeister erleben. Ich liebe den Fußball“, erklärte Messi.

Am Montagvormittag verließen die himmelblau-weißen Helden, denen Diego Maradona, so hatte es Messi gesagt, vom Himmel aus zugesehen hatte, Katars Hauptstadt Doha, um am Abend nach einem Zwischenstopp in Rom mit dem Flugzeug in Buenos Aires zu landen. Dort, in der argentinischen Hauptstadt, zerfloss die gefühlvolle, exzentrische Fußballnation in ihren Emotionen. Vergessen waren die Probleme, die Inflation liegt bei mehr als 90 Prozent, alles wird teurer, bei vielen Menschen reicht das Geld kaum noch für das Essen. Doch jetzt: Weltmeister!

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Sogar Pelé, der gegen den Krebs kämpft, meldete sich im Internet. „Messi hat seinen ersten WM-Titel gewonnen, wie es seine Laufbahn verdient“, schrieb der Brasilianer auf der Fotoplattform Instagram. „Glückwunsch, Argentinien. Diego lächelt jetzt sicherlich.“

Messi ließ das Spiel in der Verlängerung wieder in Richtung Argentinien kippen

Die Argentinierinnen und Argentinier hatten in den aufreibenden vergangenen Wochen verfolgt, wie ihre Spieler ausgerechnet das erste Gruppenspiel gegen Saudi-Arabien verloren hatten (1:2) und dann trotzdem nach und nach alle folgenden Hürden aus dem Weg räumten. Immer konnten sich die jungen Wilden dabei an Lionel Messi aufrichten. Im Finale hatte die eigentlich vom Ball untrennbare Nummer 10 vor dem plötzlichen Ausgleich von Kylian Mbappé den entscheidenden Zweikampf verloren. In dieser Phase hätte das Unglück die Schultern des Ausnahmespielers hinunterziehen können, wie das bei den Rückschlägen im argentinischen Nationaltrikot zuvor schon oft passiert war. Messi aber ließ das Spiel in der Verlängerung wieder in die Richtung seiner Auswahl kippen und verwandelte im Elfmeterschießen seinen Schuss derart lässig, dass überhaupt kein Zweifel aufkommen konnte, wer am Ende den Pokal überreicht bekommen würde.

Immer wandelten die Argentinier nah an der Unsportlichkeit, aus ihrer Abneigung für die Gegner zogen sie Kraft, jedes irgendwo aufgeschnappte abschätzige Wort diente der Motivation. Torhüter Emiliano Martinez verhöhnte Kylian Mbappé in der Kabine etwa, weil der Angreifer von Paris Saint-Germain vor einigen Monaten den Fußball in Südamerika als nicht so weit fortgeschritten wie in Europa bezeichnet hatte.

Argentinien hat zwei der größten Fußballer der Geschichte hervorgebracht

Dem Turnier verlieh Argentinien so einen ruppigen Zauber, das Leid, das die WM erzeugt hat, darf trotzdem nie untergehen. Den Schatten, den die Vergabe an das Emirat warf, symbolisierte zum Abschluss ein schwarzer Umhang, den Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani vor der Siegerehrung Lionel Messi überraschend angezogen hatte. Das traditionelle Gewand schaffte es dadurch auf die Bilder von der Siegerehrung, die sich anschließend weltweit verbreiteten.

Viel ikonischer scheint deswegen ein anderes Foto zu werden. Es zeigt Lionel Messi, den Umhang hat er längst wieder abgelegt, auf den Schultern seines Freundes Sergio Aguero, umringt von Mitspielern, Familienmitgliedern. In der rechten Hand hält Messi den goldenen WM-Pokal und blickt auf die Tribünen im Stadion Lusail, die vom Rasen aus in Richtung Himmel ragen. Schon Diego Maradona war nach dem Triumph bei der Weltmeisterschaft 1986 auf Schultern getragen worden.

Argentinien hat zwei der größten Fußballer der Geschichte hervorgebracht. Fast schon unverschämt.