Moskau. Nach monatelanger Ungewissheit geht es für die Kletterer bei der EM doch noch um ein Olympia-Ticket. Aus Deutschland sind vier Frauen am Start. Für ein finales Happy End sind sie vor allem mental extrem gefordert - und das liegt nicht nur an den Corona-Umständen.

Hinter den obligatorischen Gesichtsmasken lassen sich bei den deutschen Kletterinnen doch noch Vorfreude und Tatendrang erahnen.

Zum Abschluss des vermaledeiten Corona-Jahres 2020 haben die vier Athletinnen bei der EM in Moskau von diesem Wochenende an die Chance, sich den letzten Startplatz für Olympia in Tokio zu sichern. Nur ein Ticket für Japan wird in Russland noch vergeben - und die Titelkämpfe sind vor allem eine mentale Herausforderung für das Quartett mitten in der globalen Covid-19-Pandemie. Bundestrainer Urs Stöcker spricht deshalb von einer "sehr angespannten Geschichte."

Da ist zum einen der Gesundheitsaspekt und die Gefahr durch das Reisen. Deutsche Männer treten in Moskau nicht an, weil die ihre zwei möglichen Olympia-Startplätze durch Alexander Megos und Jan Hojer bereits sicher haben. Für die Frauen aber wollte der Deutsche Alpenverein (DAV) die letzte Chance auf ein Tokio-Ticket nutzen.

Alma Bestvater, Afra Hönig, Lucia Dörffel und Hannah Meul müssen sich nun unter Corona-Bedingungen beweisen. "Man muss die ganze Zeit die Maske aufhaben", erklärt Dörffel der Deutschen Presse-Agentur. "Man hat wenig Zeit zum Aufwärmen, damit nicht viele Leute in dem Bereich sind. In der Disziplin Lead muss jeder sein eigenes Seil mitbringen." Nach Spaß klingt das alles nicht. "Nee", bestätigt die 20-Jährige.

Corona sorgt für Verzerrungen. Gute Nationen wie die Österreicher schicken aus Infektionsschutzgründen keine Athleten nach Russland, obwohl sich noch je ein Mann und eine Frau hätten qualifizieren können. "Das ist dann kein fairer Wettkampf", meint Alma Bestvater.

Die Weimarerin, die inzwischen in München lebt, ist im deutschen Team die erfolgreichste Athletin - und hatte durch Corona sogar Glück. Wegen einer Ellbogenverletzung hätte Bestvater (24) bei einer EM im Frühjahr nicht antreten können. Die Verschiebung eröffnete ihr doch die Chance. Auch wenn sie noch nicht das volle Vertrauen in ihren linken Ellbogen habe, sei der Olympia-Traum "klar im Hinterkopf."

Die größte Herausforderung war für alle Kletterinnen die Motivation in dem sich immer länger ziehenden Jahr. "Ich glaube, dass wir vom Kopf her langsam müde sind, dass es zehrt", beobachtet Coach Stöcker. Afra Hönig (24) erzählt, dass sie wegen der unsicheren Terminlage seit Anfang 2019 nicht mehr im Urlaub war. Sie trainiere seitdem durch - ausgenommen von einem Monat Bundeswehrgrundausbildung. "Ich merke voll, dass ich mich einfach nur freue, wenn es vorbei ist."

Ein letzter Kraftakt aber soll noch möglich sein. Auf dem EM-Programm stehen Lead (Seilklettern), Bouldern (schwierige Grifffolgen in Absprunghöhe) und Speed-, also Geschwindigkeitsklettern. Aus den drei Einzeldisziplinen wird eine Kombinationswertung errechnet und die besten Athletinnen kämpfen zum Abschluss in diesem Kombi-Event um den Olympia-Startplatz. An diesem Samstag geht es mit dem Speed-Wettkampf los, die Olympia-Entscheidung fällt Ende der nächsten Woche.

Die Chancen auf ein Happy End sind trotz der Voraussetzungen da. Neben drei oder vier internationalen Konkurrentinnen "gehören wir schon zum engeren Favoritenkreis", prognostiziert Stöcker.

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