Berlin. Abfällige Äußerungen, spitze Bemerkungen: Mobbing ist in vielen Unternehmen ein Problem. Auch, weil viele Chefs offenbar wegschauen.

Mobbing am Arbeitsplatz ist einer neuen Umfrage zufolge weit verbreitet, wird allerdings nicht immer von Betroffenen bei ihren Vorgesetzten gemeldet. Das geht aus einer Befragung unter 1.800 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in neun europäischen Ländern im Auftrag des Prüfungs- und Beratungsunternehmens EY hervor. Die Ergebnisse lagen dieser Redaktion vorab vor.

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Demnach hat jeder dritte nicht leitende Beschäftigte (33 Prozent) schon einmal Diskriminierung am Arbeitsplatz erlebt. Fast ebenso viele Arbeitnehmer (30 Prozent) wurden laut eigener Aussage sogar schon Opfer von Mobbing. Unter Männern (31 Prozent) ist der Anteil derjenigen, die Diskriminierung erlebt haben, kleiner als bei Frauen (36 Prozent). Auch Mobbing haben Männer (29 Prozent) der Befragung zufolge seltener am Arbeitsplatz erlebt als ihre Kolleginnen (34 Prozent).

Mobbing: Frauen vertrauen sich seltener als Männer ihren Vorgesetzten an

Die Vorfälle werden jedoch nicht immer an Vorgesetzte herangetragen. Nur knapp jeder zweite nicht leitende Angestellte habe Diskriminierungs- oder Mobbing-Attacken gemeldet (49 Prozent). Frauen (46 Prozent) würden sich demnach noch seltener Vorgesetzten oder den entsprechenden Stellen im Unternehmen anvertrauen als betroffene Männer (54 Prozent).

Wer wie mit solchen Vorfällen umgeht und welche Erfahrungen macht, hängt der Befragung zufolge stark von der Unternehmenskultur und dem Führungsstil in den jeweiligen Unternehmen ab. Nicht leitende Angestellte, die ihren Betrieb und dessen Führungskräfte als divers und inklusiv bewerten, haben seltener Erfahrungen mit Diskriminierung (29 Prozent) gemacht als nicht leitende Angestellte in Unternehmen mit einem wenig oder gar nicht diversen Führungsteam (36 Prozent).

Chefs sehen ihr Unternehmen und den Umgang mit Problemen viel positiver

Die Ergebnisse der Studie, bei der je zur Hälfte leitende und nicht leitende Angestellte befragt wurden, legen zudem nahe, dass Chefs häufiger über etwaige Probleme hinwegsehen. So bewerteten leitende Angestellte Anstrengungen ihrer Firma mit Blick auf Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion deutlich positiver als nicht leitende Mitarbeiter. Zwei Drittel der Führungskräfte (63 Prozent) antworteten, dass in ihrem Unternehmen eine Kultur des Vertrauens und der Transparenz aufgebaut worden sei beziehungsweise herrsche.

Bei den nicht leitenden Angestellten waren hingegen nur 44 Prozent dieser Meinung. Auch bei der Beurteilung der Geschlechtervielfalt und des Umgangs mit Sorgen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern klaffen die Einschätzungen weit auseinander.

Umfrage: Schlechte Unternehmenskultur wirkt sich auch auf die Produktivität aus

Ev Bangemann, Managing Partner bei EY, stellte mit Blick auf die Ergebnisse eine „Kluft zwischen Führungsetage und Mitarbeitenden“ fest. „Wenn im Schnitt fast jede und jeder dritte Angestellte schon einmal diskriminiert oder gemobbt wurde, müssen bei den Arbeitgebern die Alarmglocken schrillen und umgehend Maßnahmen ergriffen werden, um einen wirklichen Kulturwandel im Unternehmen voranzutreiben, der alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter miteinbezieht“, sagte sie.

Folgen einer schlechten Unternehmenskultur sind der Umfrage zufolge spür- und messbar – und wirken sich auch auf die Arbeitsqualität aus: Weniger als die Hälfte der befragten nicht leitenden Angestellten (48 Prozent) bewertet die eigene Produktivität am Arbeitsplatz aktuell als „hoch“. Ähnlich sieht es bei der gefühlten Arbeitsplatzsicherheit (45 Prozent) und der Zufriedenheit am Arbeitsplatz (40 Prozent) aus. Nur ein Drittel von ihnen (33 Prozent) gab an, am Arbeitsplatz in hohem Maße sie selbst und authentisch zu sein.