Berlin. Die Kernenergie-Branche hat sich seit dem Atomausstieg gewandelt: Wissen und Technologie werden weiterhin gebraucht – nun im Ausland.

Im Emsland liegen Vergangenheit und Zukunft der deutschen Atombranche nah beieinander. In Lingen wird das gleichnamige Atomkraftwerk, seit 1979 vom Netz, abgerissen. Nebenan wird das AKW Emsland zum 15. April heruntergefahren. Doch wenige Hundert Meter entfernt im Wald stellt das Unternehmen ANF auf einem streng abgeschirmten Gelände das her, was solche Anlagen weltweit immer brauchen, um überhaupt Strom zu erzeugen: Brennelemente.

Wenn es mit deutschem Atomstrom auch vorbei sein wird, deutsches Atomwissen ist international gefragt. Die hiesige Branche hat bereits einen großen Wandel hinter sich: Sie musste sich neu orientieren, denn seit November 1989 ist kein neues AKW mehr in Deutschland ans Netz gegangen. Andere Länder bauen neue Anlagen, modernisieren alte oder reißen sie ab. Wer AKW betreibt, benötigt Zwischen- und Endlager für verbrauchte Brennstäbe. Immer sind deutsche Spezialisten gefragt. Und viele Kraftwerksbauer setzen auch auf Bauteile und Steuertechnik aus Deutschland.

Die Atom-Branche ist extrem verschwiegen

Die Branche ist verschwiegen, weil der Atomenergie in der Bundesrepublik ein Hauch des Bösen anhängt. Wie viele Mitarbeiter in der Branche arbeiten, ist schwer zu sagen. Der Branchenverband Kern D schätzt, dass bei den AKW-Betreibern, beim Staat und in der Forschung rund 30.000 Mitarbeiter beschäftigt sind. Vor dem Atomausstieg waren es demnach um die 35.000. Und viele Beschäftigte werden auch in den kommenden Jahren gebraucht, schließlich müssen die ehemaligen Betreiber die Anlagen abreißen –zurückbauen, wie es heißt. Das kann schon mal deutlich mehr als zehn Jahre dauern.

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Dann gibt es einige Ingenieurbüros, die sich mit AKW beschäftigen und Firmen, die neben dem normalen Geschäft auch Bauteile für Kernkraftwerke verkaufen. Das muss nicht immer Steuertechnik sein, wie sie der Technologiekonzern Siemens Energy für das ungarische AKW Paks II liefern soll. Oft sind es Notstromaggregate, Pumpen, Ventile deutscher Hersteller, die den strengen Vorgaben für kerntechnische Anlagen entsprechen.

Deutsche Experten sind weltweit gefragt

Die deutsche Expertise stammt aus einer Zeit, als mit Atomkraft Zukunft verbunden war, im rheinischen Jülich an neuen Reaktoren geforscht wurde. Und als die KWU fast alle der deutschen Atomkraftwerke baute und auch international Anlagen verkaufte. Gegründet von AEG und Siemens, gehörte KWU lange zu Siemens. Die Atomsparte ging dann an Framatome, eine Tochter des staatlichen französischen Energiekonzerns EdF. Er ist einer der größten Betreiber von AKW weltweit.

Die letzten Atomkraftwerke in Deutschland gehen vom Netz. Was wird nun aus der einst so stolzen Branche?
Die letzten Atomkraftwerke in Deutschland gehen vom Netz. Was wird nun aus der einst so stolzen Branche? © dpa | Armin Weigel

Framatome entwickelt und baut Atomkraftwerke. In Deutschland arbeiten rund 3000 Beschäftigte, vor allem im bayerischen Erlangen, Ingenieure mit Wissen zu Sicherheit, Modernisierung und Abriss von AKW. Zum Konzern gehört auch ANF (Advanced Nuclear Fuels, etwa hochentwickelte Nuklearbrennstoffe) in Lingen und ein Labor für Brennstab-Prototypen für neue Atomreaktoren im bayerischen Karlstein am Main zwischen Hanau und Aschaffenburg.

Skandalfirma ohne Skandale

Keine sechs Kilometer entfernt in einem Gewerbegebiet von Alzenau liegt die Zentrale von Nukem Technologies. Mit der Skandalfirma der Achtzigerjahre hat das Ingenieurs-Unternehmen nur den Namen gemein. Allenfalls sind sie hier noch etwas verschwiegener als sonst üblich in der Branche. Ein Grund: Nukem gehört zur russischen Atomagentur Rosatom.

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„Wenn das Kraftwerk am Ende der Lebenslaufzeit angekommen ist, kommen wir“, sagt eine Managerin, die nicht genannt werden will. Die gut 130 Mitarbeiter von Nukem helfen beim Abriss eines Kraftwerks, planen und bauen Zwischenlager sowie Anlagen, um radioaktiven Abfall zu behandeln. Eine steht am stillgelegten Reaktor in Tschernobyl.

Mit Abfall beschäftigt sich auch GNS in Essen, die den deutschen Energiekonzernen EnBW, Eon und RWE sowie der staatlichen schwedischen Vattenfall gehört. Seit mehr als 40 Jahren entsorgt das Unternehmen nuklearen Abfall, hat den praktisch nicht zerstörbaren Transportbehälter Castor erfunden. Bei GNS arbeiten rund 700 Beschäftigte.

Abschied von der Atomkraft, 2011 bis 2023.
Abschied von der Atomkraft, 2011 bis 2023. © dpa | dpa-infografik GmbH

Der Castor selbst wird von Siempelkamp in Krefeld hergestellt. Die Gruppe baut sonst Anlagen für die Holzwerkstoff- und Gummiindustrie, hat aber auch ein Ingenieurbüro für den Abriss von Atomkraftwerken. Damit kennt sich EWN besonders gut aus. Das staatliche Unternehmen kümmert sich um den Rückbau der DDR-Atomkraftwerke: Rheinsberg nordwestlich von Berlin und die fünf Blöcke des AKW Greifswald an der Ostsee, die anders als der Name sagt, im nahen Lubmin stehen. Firmen der Gruppe reißen auch die Forschungsreaktoren in Karlsruhe und Jülich ab. Das Unternehmen betreibt ein Zwischenlager und bietet sein Wissen auch im Ausland an.

Russischer Atomsektor unterliegt nicht den Sanktionen

Framatome etwa gibt den Exportanteil des deutschen Geschäfts mit 90 Prozent an. Das gilt für die Ingenieursleistungen wie für Brennstäbe. Die Tochter ANF liefert vom niedersächsischen Lingen aus etwa nach Belgien, Finnland, Frankreich, Großbritannien, in die Schweiz – und auch nach Russland. Der Atomsektor unterliegt nicht den Sanktionen der westlichen Länder.

Wer Brennstäbe herstellt, braucht besonders aufbereitetes Uran. Und keine 40 Kilometer Luftlinie vom ANF-Standort Richtung Südwesten, im nordrhein-westfälischen Gronau, reichert Urenco in einer anderen, streng gesicherten Fabrik Uran an, einer der vier Standorte im Konzern. Hier wird auch die Technologie für die dafür nötigen Zentrifugen federführend entwickelt.

Das Unternehmen wurde 1971 per Staatsvertrag gegründet, Eigentümer sind zu je einem Drittel Großbritannien und die Niederlande; ein weiteres Drittel teilen sich RWE und die Eon-Tochter PreussenElektra. Dass der Standort Gronau nach dem Aus für die letzten drei deutschen AKW aufgegeben wird, gilt als unwahrscheinlich. Zu empfindlich sind die Anlagen. Und zu viel Spezialwissen haben sich die Mitarbeiter inzwischen angeeignet. Das verliere man ungern, sagt ein Manager.

In Jülich übrigens forschen sie nicht mehr an neuen Reaktoren, sondern vor allem an Entsorgung und Sicherheit. Und die Experten entwickeln Technologien, die die Internationale Atomenergiebehörde IAEA für die Überwachung nutzt. Auch das ein Zukunftsfeld.