Berlin. In diesem Jahr hat sich der Fachkräftemangel in der IT-Branche drastisch verschärft. Deutschland droht den Anschluss zu verlieren.

Der Fachkräftemangel im IT-Bereich hat sich in diesem Jahr in Deutschland drastisch verschärft. Wie aus einer Studie des Branchenverbands Bitkom hervorgeht, ist die Zahl der unbesetzten Stellen erstmals über 100.000 freie Stellen gestiegen – in diesem Jahr fehlen 124.000 IT-Fachkräfte in Deutschland.

„Das ist wirklich eine Katastrophe. In zwei Jahren haben sich die offenen Stellen mehr als verdoppelt“, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg bei der Präsentation der neuen Zahlen. Der Anstieg im Vergleich zum Vorjahr war besonders drastisch: Fehlten 2018 noch 82.000 IT-Fachkräfte, stieg die Zahl in diesem Jahr um 51 Prozent an. Vor zwei Jahren waren sogar „nur“ 55.000 Stellen unbesetzt.

Bitkom: Fachkräftemangel wirft Deutschland zurück

Händeringend gesucht werden laut der repräsentativen Bitkom-Erhebung, für die über 850 deutsche Unternehmen befragt wurden, Software-Entwickler. Jedes dritte Unternehmen sucht derzeit Fachkräfte in diesem Bereich. Jedes fünfte Unternehmen benötigt derzeit IT-Anwendungsbetreuer. Aber auch mehr als jede zehnte Stelle als Datenforscher, IT-Berater und Projektmanager sei vakant.

An eine Entspannung ist in absehbarer Zeit nicht zu denken. Im Gegenteil: Zwei Drittel der befragten Unternehmen gaben an, dass sie sogar mit einer Verschärfung der Situation rechnen. Für Bitkom-Präsident Berg ist das alarmierend: Die freien Stellen würden die Digitalisierung, den Fortschritt und den Umsatz deutscher Unternehmen bremsen. Kurzum: „Mangel an IT-Fachkräften bedroht Wettbewerbsfähigkeit in ganz Deutschland.“

Unternehmen ziehen Fachkräften hinterher

Welch absurde Züge der Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt erzeugt, wird daran deutlich, dass sich das Bewerber-Arbeitgeber-Verhältnis nahezu umgekehrt hat. Unternehmen bewerben sich in immer größerer Zahl bei IT-Fachkräften. Und Berg hat hat noch eine Beobachtung gemacht: Die Firmen ziehen den ITlern sogar hinterher.

„Früher waren München und Berlin die angesagten Orte für IT-Fachkräfte. Doch dort finden Unternehmen kaum noch neue Mitarbeiter. Dann zog es sie nach Leipzig, jetzt wandern viele nach Köln und Nürnberg, wo sich die IT-Szene gerade besonders stark entwickelt“, berichtet Berg.

Hohe Gehälter schrecken Firmen ab

Aus der praktischen Erfahrung mit Unternehmen weiß Berg, dass sich IT-Fachkräfte mit hoher Qualifikation ihren Job aussuchen können. Doch auch Einsteiger wissen um ihre Rarität auf dem Markt – und treiben den Preis hoch. Einstiegsgehälter von 60.000 bis 70.000 Euro sind keine Seltenheit mehr.

Genua hier liegt die Krux für die Unternehmen. Drei Viertel der befragten Firmen gaben an, dass die Bewerber zu hohe Gehaltsvorstellungen hätten. Jedes zweite Unternehmen findet, dass die Gehaltsvorstellungen sich nicht mit den Qualifikationen der Bewerber decken.

Bewerbungen sind nicht an die digitale Welt angepasst

Jedes achte Unternehmen erhalte für seine offenen Stellen schlicht keine Bewerbungen, geht aus der Bitkom-Studie hervor. Doch daran seien laut Bitkom-Chef Berg die Unternehmen zum Teil auch selbst Schuld. Nahezu jedes Unternehmen nehme Bewerbungen per E-Mail entgegen, 83 Prozent nutzen die klassische schriftliche Bewerbungsmappe. Auf Online-Tools setzt nur jedes vierte Unternehmen.

„Wer IT-Experten sucht und dann eine Bewerbungsmappe verlangt, hat sich nicht an die digitale Welt angepasst“, kritisiert Berg.

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Hochschul-Abschlüsse bleiben auf niedrigem Niveau stabil

Künftig rechnen 59 Prozent der Unternehmen damit, dass Kooperationen mit Hochschulen für IT-Nachwuchskräfte an Relevanz gewinnen werden. Doch auch hier zeigt Bitkom Probleme auf: Rund jeder dritte Informatik-Student bricht sein Studium vorzeitig ab, die Zahl der Absolventen ist seit drei Jahren nahezu konstant bei rund 27.000 Informatikern. Das muss man für ein Informatikstudium wissen.

Hier sieht Berg verschiedene Stellschrauben: Informatik müsse flächendeckend in Schulen angeboten werden, fordert der Bitkom-Präsident. Und der Frauenanteil solle dringend gesteigert werden: „Es gibt doch keine Entschuldigung dafür, dass der Frauenanteil so gering ist“, sagte Berg. Von klein auf müssten auch Mädchen für Technik begeistert werden, anstatt traditionelle Rollenbilder zu verstärken.

Hoffnungen setzt Berg auch in das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das im März in Kraft treten soll. „Wir müssen uns um die klügsten Köpfe im Ausland bemühen“, sagt Berg. Denn es sei klar: „Wir sind auf Experten mehr angewiesen als sie auf uns.“