Berlin. Aldi, Lidl, dm, Kaufland, Rewe und Tegut gehen Selbstverpflichtung für bessere Bezahlung ein. Minister setzt auf Lieferkettengesetz.

Ob Kakao aus Westafrika, Ananas aus Costa Rica, Tee aus Indien, Bananen aus Ecuador oder Weintrauben aus Südafrika. Viele Lebensmittel, die hierzulande in den Regalen von Supermärkten oder Discountern landen, werden zu Löhnen geerntet, die den Arbeitern in den Erzeugerländern oft nicht zum Leben reichen.

Dieses Problem wird neben dem Einsatz von giftigen Pestiziden seit Jahren von Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam, Misereor und Germanwatch thematisiert, kritisiert und in Studien nachgewiesen.

Die Negativschlagzeilen scheinen zu wirken. An diesem Freitag wollen sieben große deutsche Handelsketten im Rahmen einer Arbeitsgruppe eine freiwillige Selbstverpflichtung unterzeichnen, um auf existenzsichernde Löhne und Einkommen für Bauern- und Arbeiterfamilien in ihren globalen Lieferketten hinzuwirken.

Faire Löhne_ Aldi Nord und Süd, dm, Lidl und andere offenbar Teil der Initiative

Der Initiative, die mit dem Bundesentwicklungsministerium (BMZ) und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) umgesetzt werden soll, schließen sich nach Information unserer Redaktion die Handelskonzerne Aldi Nord, Aldi Süd, dm, Kaufland, Lidl, Rewe und Tegut an.

„Ich freue mich, dass im Lebensmittelhandel Bewegung ist“, sagte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) unserer Redaktion. „Damit erkennen die Handelsketten ihre Verantwortung für die Menschen an, die in ihren Lieferketten arbeiten. Das ist ein wichtiger erster Schritt für echte Fortschritte.“

Die Unternehmen wollen mit der Initiative dazu beitragen, den Beschäftigten in den Lieferländern einen „menschenwürdigen Lebensstandard“ zu ermöglichen. Ziel sei es, die Menschenrechte zu sichern, die Armut zu reduzieren sowie mögliche Kinder- und Zwangsarbeit abzuschaffen, heißt es in der gemeinsamen Selbstverpflichtung. Im ersten Schritt wollen sich die Konzerne auf die landwirtschaftlichen Lieferketten ihrer Eigenmarken konzentrieren.

Konkret sollen existenzsichernde Einkommen als langfristiges Ziel in die Nachhaltigkeitsrichtlinien der Unternehmen aufgenommen werden. Die Rückverfolgbarkeit der Lieferketten soll transparent werden: Wie werden Produkte hergestellt und welche Prozesse durchlaufen sie?

Damit die Ziele umgesetzt werden, soll es einen ständigen Dialog entlang der Lieferketten geben – also mit Lieferanten, Zwischenhändlern und Gewerkschaften. Alles soll offen kommuniziert werden.

Menschenrechte „nicht verhandelbar“ – bereits diverse Projekte gestartet

„Menschenrechte dürfen nicht verhandelbar sein“, nennt die Rewe Group gegenüber unserer Redaktion die Motivation für ihre Beteiligung. „Die Stärkung von Menschenrechten, die Prävention von Kinder- und Zwangsarbeit sowie die Förderung eines fairen Handels hin zu existenzsichernden Einkommen in Ursprungsländern kritischer Rohstoffe sind Schwerpunkte der Rewe Group Nachhaltigkeitsstrategie.“

Konkret verkaufen Rewe und Penny schon ab Herbst verschiedenen Sorten Fairtrade-Schokoladen, deren Lieferkette vollständig rückverfolgbar ist, heißt es. Bereits im November habe das Unternehmen gemeinsam mit dem BMZ und Fairtrade eine Kooperation für existenzsichernde Einkommen im Kakaosektor gestartet.

Oxfam-Expertin: Löhne reichen in vielen Produktionsländern bei weitem nicht

Die Drogeriemarktkette dm möchte bessere Löhne vor allem für seine Marke dmBio einführen. „Den Grundwerten von dmBio liegt die verantwortungsvolle Beschaffung und die Ausrichtung auf nachhaltigeren Konsum zugrunde“, sagte Kerstin Erbe, dm-Geschäftsführerin, unserer Redaktion.

„Zur verantwortungsvollen Beschaffung zählen für uns unter anderem ressourcenschonende Anbaumethoden, faire Arbeitsbedingungen und Preise für Landwirte.“ Änderungen im Sortiment oder der Preise seien aktuell aber deshalb nicht geplant.

Für Oxfam ist es wichtig, dass die Löhne „existenzsichernd“ sind – die Kritik an Aldi, Rewe und Lidl war zuletzt heftig. „Denn die Mindestlöhne reichen in vielen Ländern bei Weitem nicht aus, um die Lebenskosten zu decken“, meint die Oxfam-Expertin Barbara Sennholz-Weinhardt. Im indischen Teesektor hätten beispielsweise viele Menschen trotz Arbeit keinen Zugang zu angemessener Gesundheitsfürsorge, Bildung oder ausreichend Nahrung.

Auch die Selbstverpflichtung nutze nur, wenn sie konkrete Maßnahmen enthalte, die wirksam und überprüfbar seien. „Eine Beteiligung der Arbeiterinnen und Arbeiter an so einem Prozess ist unerlässlich.“

Entwicklungsminister kritisiert Schnäppchen-Kultur

Auch Entwicklungsminister Müller ist eine gute Bezahlung wichtig. Es könne nicht länger sein, dass die Menschen nur Hungerlöhne erhalten und so die Kinder auf den Kaffee- und Kakaoplantagen mitarbeiten müssen. „Wenn eine Supermarkt-Kette aktuell das Pfund Kaffee für 2,88 Euro als ‚supergeil‘ bewirbt, muss sie auch den Beweis erbringen, dass in diesen Bohnen keine Kinderarbeit steckt. Ansonsten ist ‚supergeil‘ nur ‚superdreist‘.“

Die Vereinbarung ist aber nur ein Auftakt. Denn auch Müller weiß aus Erfahrung, dass sich nur wenige deutsche Unternehmen an Selbstverpflichtungen halten. Er zieht deshalb auch ein schärferes Schwert – und plant ein Gesetz.

Es soll die 7200 deutschen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten zwingen, bei ihren Zulieferern die Menschenrechte sowie soziale und ökologische Mindeststandards durchzusetzen. „Zusammen mit Minister Heil werde ich in den nächsten Wochen Eckpunkte für ein solches Lieferkettengesetz vorlegen.“