Kella. Die Waldgenossenschaft Kella befürchtet Enteignung durch grünes Prestigeprojekt und legt deshalb Verfassungsbeschwerde ein.

Wenige Stunden vor Ablauf der Klagefrist am 18. Dezember 2019 hat die Waldgenossenschaft Kella im Eichsfeld Verfassungsbeschwerde gegen das Prestigeprojekt „Grünes Band“ der Thüringer Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) eingereicht.

„Uns droht die Enteignung durch dieses Projekt“, sagte der Genossenschaftsvorsitzende Udo Thüne dieser Zeitung. „Wenn die Betretungs-, Befahr-, Jagd- und Einschlagsverbote umgesetzt werden, können wir die 80 Hektar Buchen-Altbestände nicht mehr nutzen. Das ist ein beträchtlicher Wert.“

Thüne beziffert ihn mit etwa 10.000 Euro pro Hektar, insgesamt also rund 800.000 Euro. Pro Jahr würden den 44 Anteilseignern der Waldgenossenschaft etwa 30.000 Euro als Gesamterlös für 350 Festmeter Buchen entgehen. Der Verlust für die Waldgenossenschaft sei total. „Unser Wald“, sagt Thüne, „liegt zu hundert Prozent im Nationalen Naturmonument Grünes Band.“

Noch gelten die von Thüne kritisierten Verbote für den Bereich der kleinen Eichsfeldgemeinde an der Landesgrenze zu Hessen zwar nicht, aber das könne sich schnell ändern, sogar ohne Landtagsbeschluss. „Die Durchführungsbestimmung mit entsprechenden Verboten fällt in die Kompetenz des Umweltministeriums.“

Diese Gefahr erscheint real. Eine Ausarbeitung zur Umsetzung des Plans mit umfassenden Verboten liegt bereits in einer Ministeriumsschublade, will Thüne wissen. „Zu DDR-Zeiten kamen wir nicht in den Wald, weil der Grenzzaun hundert Meter hinter dem letzten Gehöft verlief. Jetzt sollen wir als Eigentümer wieder aus unserem Wald ausgesperrt werden.“

Beispiele wie in Kella hätten vielleicht vermieden werden können, wenn dem Thüringer Landtag vor der Verabschiedung des Grünes-Band-Gesetzes am 9. November 2018 detailliertere Informationen über Eigentums- und Besitzverhältnisse entlang des ehemaligen innerdeutschen Grenzstreifens zur Verfügung gestellt worden wären.

Der parteilose Ex-Landtagsabgeordnete Jens Krumpe wirft dem Umweltministerium vor, genau das verhindert zu haben. Der Geoinformatiker hatte präzise Informationen für einen eigenen Gesetzentwurf verlangt, das Ministerium verweigerte aber die Herausgabe und verwies auf die Möglichkeit einer offiziellen Abgeordneten-Anfrage. Krumpe nennt das „intransparentes Verhalten in Gutsherrin-Manier“, mit der Sachargumentation abgewürgt würde.

Krumpe, der dem neu gewählten Landtag nicht mehr angehört, war im April 2019 der Erste, der gegen Siegesmunds Grünes-Band-Gesetz Verfassungsklage einreichte. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof wird sich nach Informationen dieser Zeitung mit Krumpes Klage im Februar 2020 befassen. Hier geht es um die Frage der Abgeordnetenrechte. „Die durch die Landesverfassung allen Abgeordneten zustehende geschützte Teilhabe an der Gesetzgebung wurde mir durch das Ministerium verwehrt“, argumentiert Krumpe.

Umstritten ist auch, welchen ökologischen Wert der 763 Kilometer lange und bis zu 200 Meter breite innerdeutsche Grenzstreifen in Thüringen hat, den die rot-rot-grüne Landesregierung im November 2018 per Gesetz in den Stand eines Nationalen Naturmonuments erhoben hat. Kritiker wie Krumpe verweisen auf die zahlreichen Lücken, die den Biotopschutz innerhalb des Grünen Bandes löchrig erscheinen lassen. Auch Martin Görner, Leiter des Arbeitsgruppe Artenschutz Thüringen, bezweifelt den Sinn des Projektes. Naturschutzverbände wie Nabu und BUND loben hingegen die Bedeutung des ehemaligen Grenzstreifens für den Naturschutz.

Fest steht: Rot-Rot-Grün lässt sich das Projekt einiges kosten. „Für das Haushaltsjahr 2019 stehen rund 1,85 Millionen Euro zur Verfügung“, teilte das Umweltministerium mit. Von den darin enthaltenen Personalkosten, circa eine halbe Million Euro, werden vor allem die Gebietsbetreuer der Stiftung Naturschutz entlohnt.

Nach Angaben des Ministeriums sollen die Gebietsbetreuer insbesondere in Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit tätig sein sowie in „der Betreuung von Infrastruktureinrichtungen (Bänke, Schilde), der Mitwirkung bei Bestandserfasssungen“ sowie bei der Umsetzung des Pflege-. Entwicklungs- und Informationsplans.

Wann die mobilen Gebietsbetreuer ihre Arbeit als Inspekteure im Grünen Band aufnehmen können, hängt unter anderem auch davon ab, wann die Stiftung die dafür benötigten Allrad-Autos erhält. Die öffentliche Ausschreibung der Fahrzeuge hat sich inzwischen mehrfach verzögert.

Die Stiftung Naturschutz ist eine gemeinnützige selbstständige Stiftung mit einem Grundstockvermögen, das im Jahr 2017 etwa zehn Millionen Euro betrug.

Dem Beirat der Stiftung gehören als Vorsitzender Umweltstaatssekretär Olaf Möller (Grüne) sowie weitere Bedienstete des Umweltministeriums und anderer Ministerien an.

Geschäftsführer der Stiftung Naturschutz ist seit April 2019 der Landesvorsitzende der Thüringer Grünen, Denis Peisker. Zwei Monate zuvor, im Februar 2019, hatte Peisker seine Stelle als Dezernent für Stadtentwicklung in Jena verloren.